Eigentlich hatte ich geplant, mich ab Herbst 2023 als freier Wissenschaftsjournalist durchzuboxen, hatte dafür schon das eine oder andere zusätzliche Standbein installiert. Doch es sollte anders kommen. Innerhalb von ein paar Tagen wurde ich Mitglied beim Tagesspiegel, einem Blatt, dem die Wissenschaft noch etwas wert ist.
Manchmal geht es doch schneller als man denkt. Jedenfalls ging's jetzt schneller, als ich dachte: Seit dem 1. Juni 2023 bin ich Mitglied in der Wissenschaftsredaktion des Tagesspiegels, und zwar in dem Bereich, der sich auf Berlin und Brandenburg fokussiert. Seit erst zwei Tagen prasseln hier die Eindrücke auf mich ein und die sind durchweg positiv.
Der Tagesspiegel stellt sich als Medienhaus seit Jahren zukunftssicher auf und probiert viel aus. Wichtig auch: er räumt der Wissenschaft viel Platz ein, im Gegensatz zu vielen Medienhäusern, wo sie sich Fitness- oder Lifestyle-Themen unterordnen muss. Jeden Tag gibt es vier Seiten Wissenschaft im überregionellen Teil, eine Seite zu Gesundheitsthemen. An den Wochentagen gibt es den fokussierten Blick auf die Forschung und Hochschulpolitik in der deutschen Hauptstadt.
Das ist absolut gerechtfertigt, denn im Berliner Raum befinden sich nicht nur die Charité, die Humboldt-, Technische und Freie Universität, sondern unzählige kleiner Hochschulen und Fachhochschulen. Dazu kommen Institute von Max Planck, Helmholtz und Leibniz, mit Bayer einen großen Standort industrieller Pharma-Forschung, Start-Ups, zoologische und botanische Sammlungen, Großforschungsanlagen und Reaktoren, Sternwarten, Naturschutzgebiete und Künstler im Labor.
Wissenschaft spielt also auch im öffentlichen Leben eine große Rolle, und einem Hauptstadt-Blatt steht es gut zu Gesicht, das auch abzubilden. Die wissenschaftliche Community ist groß und die Forschung ein Wirtschaftsfaktor, das Interesse ist also auch vorhanden.
Außerdem lassen sich viele regionale Themen durch die wissenschaftliche oder wissenschaftspolitische Brille betrachten, etwa die Natur in der Stadt, der Strukturwandel in der Lausitz oder die Auswirkungen des Klimawandels auf die märkische „Sandbüchse“ und den dicken urbanen Klops in der Mitte der Landkarte.
Es ließen sich auf den Seiten also viele Themen verwirklichen, die mich ohnehin interessieren. Bei der Politik habe ich den größten Nachholbedarf. Denn ich kenne die Uni Potsdam und Charité, die Forschungskonglomerate von Helmholtz, Max Planck und Leibniz als Student oder Mitarbeiter, aber der Blick auf die Ränkespiele in den Führungsetagen oder die Diskussion um neue Policies sind mir noch verhältnismäßig fremd.
Aber ich fülle in der Redaktion keine Autorenstelle. Vielmehr werde ich in alle Arbeitsabläufe eingebunden, dazu gehört beispielsweise die Themenplanung, die Betreuung externen Autor:innen oder die Produktion der Seiten selbst. Ich freue mich auf diese Erfahrungen und Entlastung und guter Kollege für das Team zu sein. Überhaupt – ich bin wieder Teil eines Teams! Schon das finde ich großartig.
Viele Vorzüge einer festen Anstellung wie ein stabiles Einkommen, bezahlten Urlaub oder den Arbeitgeberanteil muss ich hier gar nicht erwähnen. Auch das Hickhack mit der Arbeitsagentur blieb mir erspart, weil ich nahtlos von meinem alten in den neuen Arbeitsvertrag wechselte. Dass ich den ersten Termin, zu dem ich in der typisch passiv-aggressiven Art eingeladen wurde, absagen konnte, war mir eine große Genugtuung.
Als Naturwissenschaftler werde ich in der Firma vermutlich schon ein klein wenig Einhorn-Status haben. Weit überwiegend sind hier Geisteswissenschaftler:innen mit der entsprechenden philosophischen, politischen, historischen und literarischen Ausbildung unterwegs, auch das für mich ein ungewohntes, aber spannendes Umfeld. So viel „klassisch“ ausgebildete kluge Köpfe!
Untypisch ist auch meine Historie in der Wissenschafts-PR. Eigentlich ist der Pfad zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit eine Einbahnstraße. Ich wollte aber immer nur Wissenschaft kommunizieren: Auf meinem Blog, als Schreiberling am Max-Delbrück-Centrum oder als Presseverantwortlicher am MPI für molekulare Genetik. Die Marketing-Aspekte an diesen Positionen haben mich nie angesprochen. Um Offenlegungen, wenn ich über meine alten Arbeitgeber berichte, werde ich wohl nicht herumkommen. Aber das ist nur fair gegenüber den Lesenden.
In den nächsten Wochen werde ich alles auf mich zukommen lassen und versuchen, mich nicht allzusehr unter Druck zu setzen. ich hatte mich auf ein Abenteuer eingestellt und das soll es auch werden!