Ob sie nun eher links oder rechts sind, diese neuartigen montäglichen Friedensdemos? Das ist wahrscheinlich egal, denn das eigentliche Problem ist ein anderes: Die Montagsdemos sind Tummelplatz für Ressentiments, abstruse Verschwörungstheorien und Vorurteile, für das Denken in einfachen Schubladen, für einen Protest ohne konkrete Forderungen außer: die da oben, die sind alle ganz, ganz doof. Und böse! Die Zionisten in Isreal und den USA, und zahlreiche Wirtschaftslobbys sind die Strippenzieher, die Medien und Politiker kontrollieren. Das klingt verdächtig nach Stammtischgeschwätz und das ist es auch. Dass es nicht um Politik und Mitbestimmung geht, zeigt sich schon daran, dass diese Friedensdemonstranten nicht besonders diskursfreudig oder friedliebend sind. Von verschiedenen Seiten wird ihnen eine gewisse Ziellosigkeit und Diffusheit attestiert. Es wäre aber ein Fehler, diese Menschen auszulachen. Die Zeichen stehen auf „blinder Aktionismus" und der wird spätestens dann gefährlich, wenn er populär wird und in politische Entscheidungsprozesse mündet.

„Immer wenn ich auf Youtube aus Versehen ein Video von Ken Jebsen anklicke, will ich auf der Stelle Zionist werden" ---- Christian Ulmen auf Twitter

Als Brandredner im vorgeblich unfreiwilligen Zentrum der Medienöffentlichkeit findet sich immer wieder Ken Jebsen, der vor ein paar Jahren wohl wegen seiner etwas zu ehrlich vorgebrachten Meinung zum Dritten Reich seinen Job und seine Sendung „KenFM" beim öffentlich-rechtlichen RBB verlor. Er demonstriert heute wie damals: Nur weil man schnell reden kann, heißt es nicht, dass man zu keinen intellektuellen Kurzschlüssen fähig wäre.

Während Jebsen immer wieder die Herdenmentalität und die Passivität anprangert und derweil die ihn bejubelnden Demonstranten beschimpft, sie sollten endlich etwas tun, so wie er! der Journalist! scheint er nicht wahrzunehmen, dass er genauso Opfer von verkürztem Denken und Herdentrieb ist. Ganz ehrlich: wer den Anschlag vom 11. September 2001 als „warmen Abriss" des World Trade Centers durch die USA selbst bezeichnet, behauptet, Angela Merkel würde von der CIA erpresst oder die Gentechnikindustrie würde krebserzeugende Lebensmittel in die Märkte pressen, damit daran die Pharmaindustrie kräftig verdienen könne, wird zumindest von mir nicht mehr ernstgenommen.

Denn genauso wenig wie alle anderen Menschen kann auch er der menschlichen Wahrnehmungspsychologie nicht entkommen, die unsere Meinungsbildung bestimmt. Ich denke sogar, dass er ein Vorzeigebeispiel dafür ist, weshalb eine faktenorientierte, und gelassene Meinungsbildung bei kontroversen Themen meist scheitert.

Je stärker man in ein Thema emotional involviert ist, desto eher wird man vermeiden, dass die eigene Meinung geschwächt wird. Keiner, der den schreienden Jebsen in einem seiner Videos erlebt hat, wird bezweifeln, dass er ein hohes emotionales Investment in seine Themen hat. Er vermittelt sehr überzeugend, dass er das genaue Gegenteil von rational und gelassen ist.

Ein Experte ist außerdem stets nur der, der auch den eigenen Standpunkt vertritt. Wer ihn infrage stellt, wird der Meinungsautorität beraubt und etwa für fremdbestimmt erklärt. Das perfekte Beispiel lieferte Jebsen selbst, als ich ihn via Facebook darauf ansprach, dass Genfood eben keinen Krebs erzeuge. Jebsen antwortete in seiner unverkennbaren und sparsamen Art zu schreiben, GMO sei eine „Mafia", die nur „Abhängigkeiten schaffen" wolle. Ich als Forscher würde „benutzt" werden, und meine Grundlagenforschung sei nicht viel wert, weil durch andere finanziert, bei denen die „Fäden zusammenlaufen". Das war alles, was er dazu zu sagen hatte.

Verschwörungsdenken ist eine Diagnose, und es hat mehr als eine pathologische Facette. Der Experimentalpsychologe Stephan Lewandowsky hatte zusammen mit zwei Kollegen schon vor zwei Jahren einen vieldiskutierten Artikel über „Klimaspinner*" veröffentlicht -- also die Leute, die einen menschengemachten Treibhauseffekt leugnen. Das Fazit ihrer Ergebnisse verriet das Forscherteam bereits im Titel: "NASA faked the moon landing---Therefore (Climate) Science is a Hoax: An Anatomy of the Motivated Rejection of Science". Bei der Personengruppe, die wissenschaftlichen Ergebnissen ihre Gültigkeit absprachen, fanden sie etwa die Meinungen, dass HIV und AIDS in keinem Zusammenhang stünden, dass das Rauchen keinen Lungenkrebs verursache oder dass das CIA Martin Luther King erschossen hätte. Dass Ken Jebsen auch hier gut ins Schema passt, bedarf eigentlich keiner weiteren Erläuterung: er ist glühender Anhänger der Verschwörungstheorie, die USA hätten selbst ihr World Trade Center selbst abgerissen -- der Einsturz des über Stunden hinweg brennenden WTC7 wäre der beste Beweis. Ein weiteres Beispiel für diese Art von Denke ist der berüchtigte Milchwirt und Impfgegner Hans Tolzin, der das angebliche Pharmakartell geißelt, Homöopathie lobpreist und Zweifel daran anmeldet, dass Keime Krankheiten hervorrufen könnten. Das anderswo als „Crank magnetism" bezeichnete Phänomen existiert also wirklich. Ich schätze, Tolzin würde sich auf den Friedensdemos bestimmt auch wohl fühlen.

„Den Eiskappen ist es egal, ob es rational ist, dass wir uns um unsere Freundschaften sorgen." --- Dan Kahan, Yale University

Den Grund für diese interessanten psychologischen Phänomene sieht Psychologieprofessor Dan Kahan in unserem\ komplexen sozialen Verhalten: „Ich versuche immer, Leute zu finden, von denen ich glaube, sie sind wie ich -- Leute, mit denen ich Zeit verbringen will -- aber nicht das glauben, was alle anderen glauben". Als soziale Wesen sind wir fest auf Gruppendynamik verdrahtet, und wer ähnlich tickt, bildet eine starke Gruppe. Wer aber seine Meinung plötzlich ändert, hat viel zu verlieren und fällt in seiner Peer Group schnell in Ungnade. Wie groß wäre wohl der Vertrauensverlust unter den Grünen, wenn sich Claudia Roth plötzlich gegenüber Stromerzeugung aus Kernspaltung öffnen, oder Renate Künast sich für grüne Gentechnik begeistern würde? Unser Unterbewusstsein nimmt uns diese Art von Entscheidungen ab und lässt Gegenargumente gar nicht erst an uns heran.

Weder Dan Kahan noch Stephen Lewandowski bieten Lösungen für diese kognitiven Fallstricke. Vielleicht ist der erste Schritt, für andere Meinungen offen zu bleiben, selbstkritisch und sich seiner Sache nicht immer allzu sicher zu sein. Für mich klingt Jebsen aber nicht besonders open-minded oder wie jemand, der seinen Standpunkt und seine Biases fortwährend hinterfragt. Diejenigen, die das tun, sind tendenziell eher zurückhaltend und leise. In der Wissenschaftskommunikation führt das dazu, dass sich Forscher/innen scheuen, in die Öffentlichkeit zu treten. Auf politischer Ebene ist diese Art von irrationaler Faktenscheue ungemein gefährlich. In Südafrika hat das Leugnen der Existenz des HI-Virus 300.000 Menschen das Leben gekostet.

Natürlich könnte man sich selbstzufrieden zurücklehnen und diese lautstarke Minderheit von Montagsdemonstranten vor sich hinspinnen lassen, in dem Wissen, dass die Mehrheit es immer noch besser weiß. Ich fürchte aber, das wird nicht reichen. Jebsen ist ein äußerst charismatischer und radikaler Sprecher, der emotionalisiert. Damit verstärkt er Vorurteile, linke wie rechte. Und ich befürchte, dass sein Verschwörungsdenken durchaus ansteckend sein kann.

Auch wenn sicher längst nicht alle der Demonstranten Spinner oder Verschwörungstheoretiker sind, gilt das für den überwiegenden Anteil der Sprecher. Jebsen überfährt die Zuhörer rhetorisch mit seinen Andeutungen, Assoziationen und Kurzschlüssen; er ist populistisch, mitreißend und emotionalisierend. Er fordert zwar, dass man sich seine eigenen Gedanken machen soll, dabei würde man dann zu dem Schluss kommen, dass die Welt komplexer ist, als uns etwa Ken Jebsen, Jürgen Elsässer und Andreas Popp weismachen wollen. Ausgehend von den verbreiteten Botschaften, scheint mir die emotionale und soziale Komponente der „Montagsbewegung" mehr Gewicht zu haben als die Vernunft.


Weiterlesen

Ken Jebsen oder Wahnsinn mit Methode" --\ Michael Bittner, 8. Mai 2014

How politics makes us stupid" -- Ezra Klein, 6. April 2014

„Starrköpfe überzeugen: Psychotricks für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern, Fundamentalisten, Partnern und Ihrem Chef" -- Sebastian Herrmann, rororo Verlag


* Ich nenne die Klimaspinner so, nicht etwa Lewandowski.

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