Das akademische System macht seine eigenen Leute kaputt. Ein Drittel der Doktorand/innen neigt zu psychischen Störungen, insbesondere Depressionen. 

Ständig angespannt sein, sich unglücklich oder depressiv fühlen, das Gefühl, Probleme nicht bewältigen zu können und keinen Spaß mehr an der täglichen Arbeit zu haben. Das kennen wohl die meisten Doktorand/innen.

Diese Gefühle sind erste Indikatoren für eine psychische Störung und können mit einem standardisierten Fragebogen ermitteln werden. Etwa die Hälfte von 3000 flämischen Doktorand/innen gab auf einem solchen Bogen an, unter zwei solcher Symptome zu leiden. Ein Drittel von ihnen kreuzte sogar vier Symptome und mehr an.

Doktorand/innen unglücklicher als Fabrikarbeiter/innen

Das ist das Ergebnis einer neue Studie von Katia Levecque von der Universität von Gent, erschienen in Research Policy. Anders als frühere Studien konzentriert sie sich ganz auf die "PhD-Studenten" und soll einen repräsentativen Querschnitt durch alle Fachbereiche abbilden.

Zu einer gesicherten Diagnose einer psychischen Störung gehören zwar weitere Untersuchungen, die für diese Studie nicht durchgeführt wurden. Eine Selbstauskunft ist nur ein Screening-Werkzeug. Nichtsdestotrotz ist die Studie ein erster, empirisch und kontrolliert erhobener Hinweis auf ein gravierendes Problem im Wissenschaftsbetrieb.

Gegenüber Nature Blogs sagte die Studienleiterin Levecque, wie überrascht sie von diesen Ergebnissen war. Normalerweise zeige sich in soziologischen Studien, dass das Erkrankungsrisiko mit steigendem Bildungsgrad abnimmt. Verglichen mit anderen hochgebildeten Gesellschaftsschichten liegt das Risiko der Nachwuchs-Akademiker/innen jedoch etwa 2,5-mal höher -- ein alarmierendes Resultat. Im selben Artikel erwähnt Levecque, dass die Angestellten einer Volvo-Fabrik, die sie mit ihren Team kürzlich untersuchte, deutlich zufriedener mit ihrem Leben waren.

Anforderungen an junge Forscher/innen machen sie krank

Die in der Publikation genannten Gründe kennen viele Doktorand/innen ebenfalls aus eigener Erfahrung. Es sind vor allem Konflikte zwischen Anforderungen des professionellen und privaten Lebens, die hohe Arbeitsbelastung und oft schlechte Betreuung. Der Leistungsdruck und das Maß an Eigenverantwortlichkeit ist hoch.

Dabei haben es die Doktorand/innen in Flandern noch recht gut. Sie bekommen meistens eine volle Stelle bezahlt und stehen damit finanziell oft besser da als auf dem privaten Arbeitsmarkt. Anders ist es in Deutschland, wo eine Teilzeitstelle bei vollem Arbeitspensum plus unbezahlter Mehrarbeit an Wochenenden häufig die Regel ist. In den USA ist es wahrscheinlich noch weit schlimmer, da die Doktorand/innen dort für ihre Ausbildung Kredite aufnehmen und natürlich auch abbezahlen müssen.

Heute anders als früher

Einige mögen sagen, dass es die jungen Leute von heute einfach nicht mehr drauf haben. Die sind halt alle verweichlicht und kippen bei ein bisschen Stress sofort um, es fehlt ihnen an Durchhaltevermögen und Strebsamkeit.

Und klar, eine Doktorarbeit zu schreiben war nie einfach. Aber heute wächst der Forschungsoutput schneller als früher, es werden pro Tag mehr wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht als je zuvor. Kaum jemand schafft es noch, im eigenen Fachgebiet den Überblick zu behalten. Das ist ein Problem, das auch die "Alten" betrifft.

Natürlich sind auch die düsteren Karriereaussichten von akademischen Wissenschaftlern ein Grund für dieses Ergebnis, auch wenn diese in der Studie nicht abgefragt wurden. Immerhin wächst die Zahl der Promovend/innen konstant, während die Stellen im akademischen Betrieb unverändert gering bleiben. Früher war es einfacher, Rädchen in der Universitätsmaschine zu werden.

Die heutigen Doktor-Väter und -Mütter sind aber Kinder des „alten" Systems und haben mitunter wenig Verständnis für diese neuen Probleme. Sie halten auch allzuoft ein Ausscheiden aus der universitären Wissenschaft für ein Versagen, nennen es „alternative Karriere", obwohl mehr als neun von zehn Personen mit dem Doktor in der Tasche dem Uni-Betrieb den Rücken kehren. Auch das drückt die Stimmung.

Doktorand/innen schonen rechnet sich

Mehr für die jüngsten unter den Nachwuchsforscher/innen zu tun, könnte dem Forschungsbetrieb nützen, wie die Autor/innen auch in der Arbeit schreiben. Das Wohlergehen der eigenen Arbeiterschaft sollte dem akademischen Betrieb natürlich am Herzen liegen. Daneben sind aber Doktorand/innen mit psychischen Problemen weniger produktiv und können die Teamarbeit in den Laboren beeinträchtigen. Außerdem werden junge brillante Leute schlicht vergrault. Talent geht so dauerhaft verloren.

Ich kann nur hoffen, dass diese empirisch geführte Studie das Problembewusstsein bei den Verantwortlichen erneuert und verstärkt, damit diese den Missständen entgegenwirken. Das sollte im Interesse der direkt Betroffenen sein, aber auch im Interesse der Institutionen selbst: In den USA schrumpft die Zahl der Postdocs bereits.

Katia Levecque, Frederik Anseel, Alain De Beuckelaer, Johan Van der Heyden, Lydia Gisle (2017): „Work organization and mental health problems in PhD students." Research Policy 46(4), p. 868--879. doi:10.1016/j.respol.2017.02.008\ (Leider nicht Open Access, aber das ist heutzutage ja kein Hinderungsgrund mehr ...)

Passend dazu hier noch ein Video (Danke an Joe). Als Prof. Keith Yamamoto von der UCSF anfing, zu promovieren, gab es einen einfachen Karriereweg: die „biomedizinische Training-Pipeline", wie er es nennt. Inzwischen plädiert er dafür, junge Forscher/innen besser auf einen diversen Arbeitsmarkt vorzubereiten.

„That is the biomedical training pipeline existed for the set of students that chose to go to to take their bachelor degree and go to graduate school. They knew, we knew, I knew that we would end up as postdocs after graduate school and then as assistant professors in some institutions. So it was simple, a simple pipeline and that was the way that it worked."

Keith Yamamoto (UCSF): Time to Rethink Graduate and Postdoc Education

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