Wer erinnert sich noch? Im letzten Jahr veröffentlichte das Labor von Prof. Gilles-Eric Séralini der Universität Caen eine Arbeit mit riesigen, sensationsheischenden Bildern von Ratten, deren Tumore im Verlauf von zwei Jahren auf bis zu 25% des Körpergewichts angewachsen waren. Die Tiere hatten gentechnisch veränderten Mais der Firma Monsanto und das Herbizid RoundUp zu fressen bekommen. Es gab einen riesigen Medienrummel um das „giftige Genfood". Das Journal Food and Chemical Toxicology, das Séralinis Arbeit im September 2012 veröffentlichte, hat die Arbeit nun zurückgezogen und damit aus der Fachliteratur getilgt -- nach fast einem Jahr der eingehenden Kritik aus der Fachwelt. Das ist ein Gewinn für die Wissenschaft!

Man sieht: die Mühlen des Wissenschaftsbetriebs mahlen mitunter recht langsam, aber am Ende lässt sich so etwas nicht dauerhaft unter den Teppich kehren. „Science always wins" findet auch Prof. Kevin M. Folta, Pflanzengenetiker der Universität Florida und einer der schärfsten Kritiker von Séralinis Arbeit. Er sagt voraus, dass es viel Verschwörungs-Geschrei um das zurückgezogene Paper geben wird. Ich denke ebenfalls, dass wir nicht lange warten müssen, bis „aufgedeckt" wird, dass Monsanto hinter der Retraktion steckt -- ausgeschlossen, dass es sich hier um schlechte Wissenschaft handelt und die Retraktion gerechtfertigt ist! Update: Die Verschwörungstheorie wird in der Tat derzeit kolportiert: Ein neuer Redakteur im Journal ist offenbar früher einmal Bereichsleiter bei Monsanto gewesen: Richard E. Goodman. Er wurde vor kurzem vom Chefredakteur angeworben. Er erklärt die Hintergründe hier. Für Claire Robinson von GMwatch riecht das nach Klüngelei, Jon Entine vom Genetic Literacy Project will aber von mehreren Seiten bestätigt bekommen haben, dass Goodman nicht an der Evaluierung der Séralini-Arbeit beteiligt gewesen ist. Psiram kommentiert das hier

Interessant ist dabei, dass die Editoren Einsicht in die Rohdaten des Projekts bekamen (anders als die Öffentlichkeit, die darauf bis heute verzichten muss), und dort keinen Vorsatz für wissenschaftliches Fehlverhalten erkennen konnten. Die rectraction notice liest sich sehr vorsichtig formuliert, womöglich auch aus Angst vor rechtlichen Schritten. Wenn wir aber ehrlich sind, lassen bereits fadenscheinigen Erklärungen, weshalb die Studie als chronische Toxizitätsstudie und nicht als Kanzerogenitätsstudie angelegt war, die Wahl des der Sprague-Dawley-Ratten und die geringe Zahl der Tiere diesen Vorsatz vermuten.

Mehr denn je gilt nun die Séralini-Regel: „If you favorably cite the 2012 Séralini rats fed on Roundup ready maize study, you just lost the argument."

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Zum Hintergrund: Die Meldung „Genmais erzeugt Krebs" ging kurz nach dem Erscheinen der Publikation durch die Massenmedien, darunter „Drehscheibe Deutschland" und die regulären Nachrichten im ZDF, oder auch die TAZ. Auch das Museum für Naturkunde widmete der Publikation und dem darum entstandenen Medienrummel eine Animation, die im Rahmen von der „EntwicklunGEN"-Ausstellung gezeigt wurde. Die breite Berichterstattung war nicht zuletzt die Folge einer ausgeklügelten Medienkampagne, die Séralini fuhr: den zahlreich kontaktierten Journalisten wurde verboten, vorab Experten zu konsultieren, es gab eine große Pressekonferenz, eine TV-Dokumentation und ein populärwissenschaftliches, ängsteschürendes Buch zu dem Thema.

Die wissenschaftliche Welt fragte sich indes, wie die Publikation überhaupt durch das Peer Review kommen konnte. Über 30 Forschungsorganisationen, die Gentechnik-Zulassungsbehörden vieler Länder (darunter die europäische EFSA und das deutsche BfR) und zahllose Wissenschaftler distanzierten sich von den Schlussfolgerungen, die in der Arbeit gezogen wurden. Die Hauptvorwürfe: Die gezeigten Daten stützten nicht die Schlussfolgerungen, dass der gentechnisch veränderte Mais NK 603 wirklich in Ratten Krebs verursache. Die Studie hätte viele schwere Fehler, darunter eine viel zu kleine Zahl von Versuchstieren, sodass ein Zufallsbefund nicht ausgeschlossen werden könne. Der ausgewählte Rattenstamm neige zur spontanen Entwicklung von Tumoren, und auch die nicht behandelten Tiere der Kontrollgruppe hätten Tumore entwickelt und seien vorzeitig verstorben. Die Darstellung der Daten sei unnötig kompliziert und unvollständig, und die Rohdaten wären von Séralini auch auf wiederholte Anfrage nicht veröffentlicht worden. In der wissenschaftlichen Literatur tauchten detaillierte Widerlegungen von unabhängigen Wissenschaftlern auf (etwa Klaus-Dieter Jany 2013 oder Arjo et al. 2013), die keine Zweifel an der schlechten Qualität der Arbeit ließen. Später berichteten auch Spiegel OnlineSpektrum der Wissenschaft und die Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisch über die „Séralini-Affäre".

Nicht alle Wissenschaftler/innen distanzierten sich so deutlich von der Studie, sie wurde ganze 28 mal zitiert (davon wird ein Gutteil Kritik gewesen sein). Darunter eine Arbeit von Prof. Monika Krüger von der Uni Leipzig, die derzeit als Kronzeugin für die Giftigkeit des Herbizids Glyphosat durch alle möglichen TV-Formate gereicht wird. Sie zitierte die Studie wohlwollend in einer recht medienwirksamen Publikation, in der eine Verbindung zwischen Glyphosat-Gehalten im Urin und verschiedenen biochemischen Parametern im Blut von dänischen Rindern gezogen wurde. Sie verschweigt allerdings, dass Séralinis Daten tendenziell sogar eine vorteilhafte Wirkung von Glyphosat auf männliche Ratten nahelegen. Ohne die Arbeit abschließend zu bewerten, fällt auf, dass überall eine nachvollziehbar charakterisierte Kontrollgruppe fehlte, nirgends die Zusammensetzung des Futters dokumentiert wurde und die Studie in einem Journal der indischen Verlagsgruppe OMICS erschien. OMICS wird als predatory open access publisher gehandelt, der Autor/innen abzockt und es mit der Wissenschaft (oder besser: mit dem Peer Review) nicht so genau nimmt. Hier bei dem Bibliothekar Jeffrey Beall und in der Wikipedia gibt es mehr Informationen dazu. Und zuletzt zeigte der Science-Journalist John Bohannon, dass ein bei einem OMICS-Journal eingereichtes gefälschtes Paper ganz ohne Peer Review veröffentlicht wurde. Diese Nebenepisode zeigt, wie es auch möglich ist, Peer Review zu umgehen: Man sucht sich einfach ein obskures Journal aus, das Peer Review möglicherweise nur als Feigenblatt benutzt. Ob das im Fall der Krüger-Publikation der Fall war, kann ich natürlich nicht beurteilen.

Aus der gesamten Geschichte kann man aber lernen, dass die Kontrollmechanismen der Wissenschaft manchmal versagen und der Begutachtungsprozess keine Garantie für gute Wissenschaft ist. Manchmal verkleidet sich Dogmatismus auch nur als Wissenschaft, wogegen gute Wissenschaft immer ergebnisoffen bleiben muss. Um sich ein Bild vom Stand des Wissens zu machen, muss man eben die Gesamtheit aller wissenschaftlichen Befunde betrachten und gegebenenfalls Experten zu Rate ziehen. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine einzelne Studie eines wissenschaftlichen Außenseiters bewirkt noch längst keinen Paradigmenwechsel, wenn es um die Sicherheit von gentechnisch veränderten Pflanzen geht.

Hinweis: Dieser Beitrag ist eine für die SciLogs in Teilen umformulierte und erweiterte Version eines Artikels, den ich ursprünglich für das Blog des Museums für Naturkunde Berlin geschrieben habe. Selbstplagiate sind hier also durchaus beabsichtigt.

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