Ende des Jahres hat Annelie Wendeberg vom benachbarten ScienceZest ein paar interessante Fragen zu einer weithin kritisierten und inzwischen zurückgezogenen Publikation aufgeworfen. Gilles-Eric Séralini hatte 2012 eine Arbeit veröffentlicht, deren Hauptschlussfolgerung war IIRC, dass gentechnisch veränderter Mais und das Herbizid Roundup innerhalb des Versuchszeitraums von zwei Jahren schwerwiegende Gewebeveränderungen in Rattenorganen verursachen und die Sterblichkeit in weiblichen Tieren (nicht klar dosisabhängig) erhöhen könne. Séralini forderte eine Anpassung der EU-Zulassungsbedingungen für gentechnisch veränderte Agrarpflanzen. Er gibt dabei zu, dass seine Studie mit lediglich zehn Tieren je Gruppe für eine richtige Krebsstudie viel zu wenig statistische Power hatte, und trotzdem wurden Bilder von tumorübersäten Tieren übergroß in der Arbeit herausgestellt und weitere solcher Bilder auch durch die Presse gereicht. Diese übernahm dann dankbar die Schlussfolgerung, die Séralini selbst nicht im Paper unterbringen konnte: nämlich, dass „Genmais" Krebs verursacht. Und diese Nachricht war natürlich Wasser auf die Mühlen von radikalen Gentechnikgegnern.

Aufgrund der methodischen Mängel, etwa einen extrem tumoranfälligen Stamm für die Studie zu nehmen, der Präsentation der Daten, tierethischen Überlegungen und vor allem wegen der an den Haaren herbeigezogenen Schlussfolgerungen wurde die Arbeit heftigst kritisiert -- von internationalen und nationalen Forschungsverbänden, von Universitäten, Regulierungsbehörden, von Forscher/innen und Wissenschaftsjournalist/innen, und nicht zuletzt war da die Häme von Blogger/innen wie mir. Dieser „Shitstorm", den Annelie vermutlich meinte, war in der Tat heftig. Er war aber berechtigt und vielleicht war er auch von Séralini einkalkuliert.

Eine Antwort auf Annelie Wendebergs Fragen hatte ich bereits herbeigesenft, und in der Zwischenzeit ist ihr Beitrag leider wegen massiven Trollbefalls offline genommen worden und ich hatte keinen Ort mehr, wo ich meine konfusen Gedanken dazu loswerden könnte. Deswegen gibt es die Antwort jetzt mal ganz klassisch als eigenen Beitrag, quasi als aufgepimpter Kommentar.

Im Folgenden also die Fragen, um die es ihr ging:

1.) Wäre das selbe passiert wenn die Autoren geschlussfolgert hätten, dass diese Maissorte unbedenklich ist?

Es gibt ja einige vergleichbare Arbeiten, welche mit negativem Ergebnis, und welche wo das weniger eindeutig war. Eine Übersicht geben Chelsea Snell et al. im selben Journal Food & Chemical Toxicology. Ich wüsste nicht, dass es dazu je einen solchen Medienaufruhr gegeben hätte.

2.) Was genau hat diese Kritik-Lawine in Gang gesetzt? Durch den (von mir unterstellten) Glauben der Autoren, GMO-Nahrung sei böse, und/oder durch das geschärfte öffentliche Interesse am Thema GMO und dadurch einem erhöhten Druck auf die GMO-Beführworter, alles "gut" ausschauen zu lassen?

Die Debatte ist in meinen Augen viel weniger eine Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern gewesen, als vielmehr eine Debatte zwischen „guter" und „schlechter" Wissenschaft. Zum Schluss waren auch die Redakteure des veröffentlichenden Journals der Meinung, dass die Arbeit eigentlich zu schlecht gewesen sei, um das Peer Review zu passieren und haben sie zurückgezogen.

Natürlich gibt es die extremen Lager der „Gegner" und „Befürworter", aber sämtliche Séralini-Kritiker in eine Schublade zu stecken, finde ein bißchen unfair. Der „Shitstorm" der Entrüstung, der über Séralinis Arbeit hereinbrach, kam zunächst nicht von breiter öffentlicher Seite (und den Mainstream-Medien), sondern aus der wissenschaftlichen Community und der Fachpresse. Und das waren beileibe nicht ausschließlich Gentechnik-Befürworter. Selbst die Gentechnik-Skeptikerin Marion Nestle konnte der Arbeit nicht viel abgewinnen.

Im Gegenteil wurde die Arbeit trotz ihrer offensichtlichen Mängel von der TAZ, dem ZDF und anderen Medien sehr unkritisch und wohlwollend aufgenommen, man hat dort weitestgehend die Botschaft „Genfood macht Krebs" gesehen, und in der Regenbogenpresse war das sowieso ganz groß. Kritische Stimmen, etwa von Spiegel Online, kamen erst viel später.

Soll heißen: das geschärfte öffentliche Interesse an GM-Technologie und die negative Voreingenommenheit hat wohl erst einmal nicht dazu geführt, dass Séralini so viel Kritik abbekommen hat. Die Medien und die Öffentlichkeit waren sogar (zunächst) sehr wohlwollend.

3.) Wie einfach (oder: möglich) ist es, korrekt wissenschaftlich in einem hoch kontroversen Bereich zu arbeiten, wenn man bei Publikation der eigenen Ergebnisse und Hypothesen einen "shit storm" fürchten muss?

Je kontroverser und im stärker im öffentlichen Fokus ein Themengebiet steht, desto schwieriger wird es -- keine Frage. Das ist ja zum Beispiel in der Klimaforschung nicht anders. Dort gibt es auch immer wieder Querschläger, die entgegen dem wissenschaftlichen Konsens den Klimawandel leugnen und regelmäßig eins auf den Deckel bekommen.

Vermutlich ist es bei kontroversen Themen einfach noch wichtiger, methodisch besonders sauber zu arbeiten -- dann macht man sich auch nicht angreifbar. Das ist, was IMO Carl Sagan mit „extraordinary claims require extraordinary evidence" meinte -- dass die Belege gut genug sein müssen, um jemanden zu überzeugen (und ggf. einen Paradigmenwechsel einzuleiten). Séralini hat das Gegenteil gemacht: Methodisch unterirdisch war die Studie sehr leicht angreifbar. Vielleicht war auch deswegen der ganze konzertierte Medienrummel nötig, um die politische Botschaft an die Öffentlichkeit zu bekommen. Damit war Séralini ja auch erfolgreich.

Die Séralini-Affäre hat immerhin eine längere Vorgeschichte und seine selbstgewählte Rolle als wissenschaftlicher Herätiker hat der rollenden Kritik-Lawine erst den Boden bereitet.

Immerhin ist er ein international verehrter Held der Anti-GMO-Bewegung und ein Lobbyist, der die radikale Gentechnik-kritische Lobbyorganisation CRIIGEN gründete. Vor drei Jahren ist er aufgefallen, als er einfache biotechnologische Experimente in französischen Klassenzimmern verbieten lassen wollte, und er einen Kritiker auf Rufschädigung verklagte. Er hat eine Historie von teilweise von Greenpeace unterstützten und kontroversen Arbeiten zu gentechnischen Problemen veröffentlicht, die von der Community überwiegend abgelehnt wurden (in erster Linie wegen methodischer Mängel).

Den Vogel abgeschossen hat Séralini aber wahrscheinlich mit der Aktion, wie er die neue Arbeit an die Öffentlichkeit verkaufte. Er hat vor der Veröffentlichung selektiv Journalisten kontaktiert, und ihnen gedroht, sie müssten die Kosten der Studie tragen, wenn sie von anderen Wissenschaftlern Meinungen zur Arbeit einholen würden. Dieser Missbrauch des Embargo-Systems wurde nicht besonders gut aufgenommen. Dazu gab es eine Pressekonferenz zur Publikation, außerdem noch zeitgleich abgefahrene Fernseh-Doku und Buch mit dem vielsagenden Titel „Tous cobayes?" -- „Sind wir alle Versuchskaninchen?".

Wenn weil man als Wissenschaftler mit eine eigene Meinung haben darf, ist es zulässig, derart manipulatives Verhalten zu kritisieren -- selbst, wenn es in einem „Shitstorm" mündet.

4.) Auch Wissenschaftler sind Menschen mit Meinungen. Wenn der eigene Forschungsbereich Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion wird, in wie weit kann man sich von der eigenen Meinung/Überzeugung/Glauben zurückziehen und unbeeinflusst forschen und publizieren?

Sind die eigenen Überzeugungen nicht der Antrieb für jede Art von Forschung? Verfolgt man eine Hypothese nicht etwa weiter, weil man an ihr hängt? Ich persönlich hatte immer das Gefühl, dass aus dem Diskurs und der Konsensfindung die beste Lösung herauskommt. Man muss nur eben auch in der Lage sein, von eine geliebten Hypothese wieder Abstand zu nehmen.

Die negative Grundstimmung macht biotechnologisches Arbeiten im Agrarsektor derzeit, nach allem, was ich gehört habe, in Deutschland ziemlich schwer. Die Leute wandern ab nach Australien oder in die USA, um dort weiterzuarbeiten. Die wenigsten wollen doch Gegenstand einer öffentlichen Debatte sein. Also: Ja, ich denke, dass das ein Problem ist.

Andererseits würde das ja auch heißen, dass Evolutionsbiologen in den USA ein ganz mieses Forschungklima haben -- ist das so?


Eins noch. Annelie schrieb:

Ich möchte hier kurz daran erinnern, dass Food & Chemical Toxicology einen eher unauffälligen Impact Factor von 3.01 hat (Quelle) und eine unzulängliche Datenlage kein Hinderungsgrund ist, einen wissenschaftlichen Artikel zur Publikation zu bringen (Ja doch, das passiert).

Eine kurze Anmerkung dazu: Der Journal Impact Factor für Food & Chemical Toxicology ist in der Tat unauffällig -- das heißt aber lediglich, dass das Journal vergleichsweise wenig gelesen wird. Die meisten Papers, die ich lese, haben so einen niedrigen Impact Factor, einfach weil mein Feld NMR und nicht Krebsforschung ist. Ein niedriger JIF macht ein Paper nicht schlechter, aber auch nicht besser als andere.

„Unzulängliche Datenlage" bezieht sich vermutlich auf die Erklärung, weshalb die Arbeit zurückgezogen wurde (die retraction notice).

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