Eine neue Meinungsstudie zeigt, dass öffentliche Meinung und wissenschaftlicher Fakt oft weit auseinanderklaffen. Das macht das Streitthema „Gentechnik" keine Ausnahme. Die Ursachen sind vielfältig. 

Vielerorts ist es der Standard: Gentechnik auf dem Acker. Seit Jahren steigt der Anteil gentechnisch bewirtschafteter Flächen immer weiter an und es scheint kein Ende des Trends in Sicht zu sein. 2014 wurden 181 Millionen Hektar mit gentechnisch veränderten Pflanzen bewirtschaftet -- das entspricht etwa einem Achtel der gesamten globalen landwirtschaftlich nutzbaren Oberfläche. Spitzenreiter sind die USA, wo Soja, Mais und Raps flächendeckend in der „biotechnologisch verbesserten" Variante angebaut werden.

Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig, dass gentechnisch veränderte Sorten genauso sicher sind wie konventionelle Sorten. Das zeigen nicht nur mehrere tausend Studien, sondern auch eine Umfrage unter den Mitgliedern der größten wissenschaftlichen Gesellschaft, der amerikanischen AAAS. Das Pew Research Institute fragte 3700 Wissenschaftler aller Fachrichtungen: „Denken Sie, dass das Essen gentechnisch veränderter Lebensmittel im Allgemeinen sicher ist?". Hier gibt es einen klaren Konsens -- etwa neun von zehn Wissenschaftler/innen bejahten diese Frage. Die wissenschaftliche Gemeinschaft befindet Genfood für sicher.

Die US-Öffentlichkeit war da ganz anderer Meinung. Nur ein gutes Drittel vertraut in die Sicherheit von Genfood. Damit ist die Ablehnung etwa so stark wie in Europa, wo laut Eurobarometer-Umfrage ebenfalls nur ein Drittel denkt, dass „Gentechnik-Essen gut für sich selbst und die Familie" sei. Der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Europa: auf europäischen Äckern gibt es praktisch keine Gentechnik. Lediglich Spanien bebaut nennenswerte Flächen mit der alten Maissorte MON-810; Spaniens Meinungswerte zur Gentechnik unterscheiden sich nicht vom Gesamtbild.

Ob Gentechnik von der Bevölkerung akzeptiert wird, hängt also kaum davon ab, ob sie auf den eigenen Äckern eingesetzt wird. Es gibt einige kulturelle Unterschiede, die die unterschiedliche Herangehensweise an gentechnisch verändertes Essen erklären könnten, aber eine Gemeinsamkeit scheint es zu geben: Es muss eine gigantische Lücke in der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik geben.

Das ist vermutlich gar nicht so überraschend, schließlich haben Wissenschaftler und der Rest der Öffentlichkeit völlig unterschiedliche Erfahrungen mit der Gentechnik. In den Laboren sind gentechnisch veränderte Bakterien, Nager und Pflanzen völlig normal. Sie gehören zum Alltag, also zu den vertrauten Dingen, vor denen man keine Angst hat. Die Bauern, die Gentechnik-Saat einsetzen, haben ihre Berührungsängste ebenfalls überwunden.

Anders jedoch die breite Öffentlichkeit: sie hat keinen Kontakt zu der Technologie. Gentechnik wirkt allein durch seine Fremdheit als Bedrohung. Schulexperimente könnten diese irrationalen Ängste abbauen, aber Schülerlabore wie „HannoverGEN" werden eingestellt und sind vom politischen Klima abhängig.

Sollte die Wissenschaft also gegensteuern, indem sie über Hintergründe, Chancen und Risiken aufklärt? Immerhin fühlen sich viele laut Eurobarometer schlecht informiert. Aber Risikokommunikation ist nicht einfach, wie die Studie „Öffentliche Wahrnehmung von landwirtschaftlicher Biotechnologie in Europa" (PABE) schon vor 15 Jahren zeigte. „Offenbar gibt es eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der öffentlichen Meinung durch Institutionen und der Einstellung der Teilnehmer unserer Studie" meint die an PABE beteiligte Soziologin Claire Marris. Sie und ihre Kollegen haben für das EU-Forschungsprojekt die öffentliche Meinung nicht nur in standardisierten Fragebögen, sondern auch in tiefergehenden Fokusgesprächen erfasst. Das Ergebnis: Die Probanden hatten Fragen, die der Großteil der traditionellen Wissenschaftskommunikation gar nicht oder nicht zufriedenstellend adressieren kann.

Warum brauchen wir Gentechnik? Wer profitiert von ihr? Wer entscheidet, welche Sorten entwickelt werden? Wie gut ist die Kontrolle der Behörden über die Gentechnik-Konzerne? Wie gut ist die Abschätzung von irreversiblen Langzeitfolgen? Wer ist verantwortlich, wenn etwas schiefgeht?

Wenige Projekte beschäftigen sich differenziert und integrativ mit sozialen, ökonomischen und ökologischen Fragen, wie es etwa das Webportal Pflanzen-Forschung-Ethik aus München tut. Hier stellen Agrar- und Umweltwissenschaftler, Philosophen und Theologen fachübergreifende Fragen und ordnen sie in das „große Bild" ein.

Trotz dieser Informationsabgebote: Nicht mehr Information, sondern Vertrauen ist essentiell, wenn es um die Einschätzung von Risiken geht. Die Allgemeinbevölkerung besitzt nicht das Wissen und das wissenschaftliche Handwerkszeug, um die Risiken von neuen Technologien einzuschätzen. Also tritt Vertrauen an die Stelle des Wissens. Das Vertrauen in die Aussagen der Behörden ist jedoch erschüttert, denn deren Kontrollmechanismen haben in der Vergangenheit oft genug versagt. Möglicherweise ist auch das Vertrauen in die Wissenschaft -- über Jahrzehnte stabil auf hohem Niveau -- nach Plagiatsaffären und Fälschungsskandalen auf einem Tiefpunkt angekommen.

Als „wahr" wird wahrgenommen, was sich „wahr anfühlt" und sich mit dem eigenen Weltbild vereinbaren lässt. Die Öffentlichkeit verliert nicht nur das Vertrauen in Behörden und Wissenschaft, die Gentechnik ist zudem emotional stark negativ besetzt. Man verbindet sie mit Krankheiten, rücksichtslosen Agrarkonzernen und Umweltschäden -- auch wenn das nicht der Realität entspricht. Den Großteil der Risikokommunikation übernehmen heute Naturschutzorganisationen wie Greenpeace oder BUND, die ausschließlich Genetchnik-Risiken thematisieren. Trockene Statistiken aus der Sicherheitsforschung können dieses Bild nicht verändern. Dabei ist es egal, dass sie von der öffentlichen Hand finanziert wurden.

Möglicherweise ändert sich auch mit dem Erscheinen der Pew-Studie das amerikanische Meinungsbild. Die Umfrage legt nahe, dass es beachtlichen Widerstand gegen die Technologie gibt. Zweiflern könnte das den nötigen Schubs geben, um sich gegen Gentechnik zu orientieren -- dafür ist es nicht erforderlich, über sie Bescheid zu wissen. Die amerikanischen Initiativen zur Einführung von Gentechnik-Kennzeichnungen scheiterten in der Vergangenheit. Vielleicht ist das in Zukunft anders.

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Hinweis:  Dan Kahan, Sozialpsychologe und Jura-Professor an der Yale Law School hat Bedenken, dass die Pew-Umfrage die Frage nach dem Vertrauen in die Gentechnik sehr ungünstig gestellt hat, sodass die Antworten negativ gefärbt werden mussten. Zum Beispiel wäre die Frage in einem Kontext von Pestizid-Sicherheit und „Manipulation von Genen" gestellt worden -- beides Themen, die ganz natürlich eine Abwehrreaktion hervorrufen würden. Die konkrete Umsetzung sei ein lehrbuchtaugliches Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Die Lücke zwischen kollektiver öffentlicher Meinung uns wissenschaftlichem Konsens existiert wohl wirklich, aber sie ist wahrscheinlich nicht so groß. Seine Zweifel erklärt in seinem an sein Forschungsprojekt angeschlossenem und im Übrigen sehr lesenswerten Blog „Cultural Cognition".

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