Das Mysterium des aufgetauten Rodelbergs

Scilogs Text

Es ist Februar 2021. Die Sonne scheint, im Berliner Stadtteil Lichtenberg taut ein Südhang an -- die beliebte Rodelpiste im Kiez. Geht das mit rechten Dingen zu? Die Lokalpresse vermutet Vandalismus und feuert einen Artikel nach dem anderen ab. Zum Schluss werden Politik und Behörden aktiv und erstatten Anzeige gegen Unbekannt. Aber was ist dran an der Verschwörungsschneeorie? 

Klimatolog:innen erklären es immer wieder: weicht das Meereis zurück und das dunkle Wasser tritt zutage, schluckt es mehr Sonnenlicht und wird wärmer. Dunkle Partikel wie Ruß, Asche oder Algen auf dem Schnee verwandeln die Strahlung in Wärme und auch der Boden erwärmt sich. Ein Problem für die Eisschilde an den Polen -- die Eisdecke Grönlands wirft z.B. nur noch 30 Prozent der Sonneneinstrahlung zurück, normal wären es bis zu 90 Prozent. So beschleunigt sich der Klimawandel selbst. 

Das Ganze funktioniert auch im Kleinen -- zum Beispiel, wenn innerhalb kurzer Zeit tausende Menschen den Trümmerschuttberg „Helenenhügel" im Stadtpark von Berlin-Lichtenberg herunterrodeln. Dann gelangt schnell einiges vom dunklen Erdreich an die Oberfläche des Südhangs, denn die Grasnarbe war dort alles andere als intakt, wie Satellitenbilder zeigen.

An einem Tag wie dem 10.02. mit sechs Stunden strahlenden Sonnenscheins taut dann auch der Rodelberg an -- besonders schnell dort, wo viel gerodelt wird. Am Morgen konnte man noch die Piste herunterrasen, am Abend war da nur aber noch Erde. Die dunklen Dächer haben es am selben Tag vorgemacht, ihr Schnee schmolz und sie tropften vor sich hin. An meiner Fensterbank bildeten sich sogar Eiszapfen -- trotz sechs Grad unter Null. 

Skandal im Stadbezirk!

Diese Erklärung schien den Lokalblättern „Berliner Kurier" und „Berliner Zeitung" allerdings nicht zu reichen. Sie vermuteten dunkle Mächte am Werk. Am Donnerstag meldete der Kurier „Über Nacht war eine riesige schneelose Fläche auf der Rodelbahn entstanden". 

Eltern und Kinder, die am Mittwoch zur beliebten Rodelbahn in der Parkaue in Lichtenberg kamen, konnten es einfach nicht glauben: Die Piste war verschwunden! Wer oder was steckt dahinter? #Berlin https://t.co/MC5NU4RnXQ

--- BERLINER KURIER (@BERLINER_KURIER) 11. Februar 2021

Am Mittwochabend habe ich selbst noch erfolglos versucht, den Abhang hinabzurodeln. Ich konnte nur noch an den Seiten des Hangs hinabgleiten, wo der Schnee zuvor von den hinaufstapfenden Menschen festgetreten wurde. Am Vormittag war aber alles noch in Ordnung gewesen. „Über Nacht" sei da gar nichts passiert, protestierte ich. Interessiert hat's keinen.

Zweiter und dritter Akt der Rodelberg-Saga

Die Berliner Zeitung legte stattdessen nach: „Es scheint eines der größten Mysterien des Berliner Blitz-Winters zu sein: Wo ist der Schnee des Lichtenberger Rodelberges geblieben?" -- und erkundigt sich bei Passanten, beim Stadtrat Martin Schaefer, bei den U-Bahn- und S-Bahn-Betriebern, bei Fernwärmeversorgern und bei den Wasserwerken. Leider war kein:e Geolog:in dabei, die die Sache hätte vielleicht aufklären können. 

Heute erreichte die ganze Geschichte dann ihren vorläufigen Höhepunkt: „Bezirk erstattet Anzeige [...] Vermutet wird ein Umweltvergehen" -- wegen ein bisschen Sonne auf einem Südhang. 

Abends gab es nun neuen Schnee. Nun war ich war gerade nachschauen. Auf dem Rodelberg liegt er nun zentimeterdick, bei zwei Grad Minus. 

Der Boden darunter? Ist fest gefroren. 

IMG_6142-1024x768.jpeg Rodelberg bei Nacht. Der Schlamm ist fest gefroren und schneebedeckt.

Es bleibt natürlich spannend. Wie entspinnt sich die Saga weiter? Das Umwelt- und Naturschutzamt hat schon eine Probenentnahme angekündigt, fast wie in der Krimi-Serie CSI. Wer weiß, vielleicht gibt es ja tatsächlich eine Verschwörung gegen die frechen Rodler:innen im Stadtpark. 

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