Es gibt unzählige Studien zur Homöopathie. Das ist die Heilslehre, die sich auf die Wirksamkeit stark verdünnter Substanzen beruft und  aus einer Zeit stammt, zu der man von Krankheitserregern noch keinen blassen Schimmer hatte. Was kommt heraus, wenn Forscher die Homöopathie mit den Mitteln der modernen Wissenschaft untersuchen? 

Eigentlich als Kommentar zm Artikel zur unsäglich peinlichen Homöopathie-Apologie der BR-Sendung „Faszination Wissen" begonnen, ist dieser Beitrag schnell ausgeufert -- und eigentlich zu schade, um in der Kommentarspalte zu verschwinden.

YouTube-Kommentator Yawnpawn hatte, wenn ich mich recht erinnere, einen besonders großen Einwand gegen die Studienlage zur Homöopathie: nämlich, dass die meisten Studien methodisch der Homöopathie nicht gerecht würden und dass vor allem die Individualisierung fehle:

„Wer Homöopathiewirksamkeit aber widerlegen oder belegen will, der sollte sich ein Studiendesign wählen, das wie dieses auch wirklich nach homöopathischen Therapieregeln testet. [...] Du hast geschrieben, dass man (ich nehme an, ausreichend gründlich) Homöopathie getestet hätte. Hast Du mir ein paar Studien? "

Wie steht es also um die Belege für eine Wirksamkeit der Homöopathie?

Man muss voraus schicken, dass die Homöopathie keine gute Ausgangsposition hat: Sie widerspricht den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die wir seit ihrer Erfindung durch Samuel Hahnemann vor mehr als 200 Jahren gewonnen haben. Daher gilt der Grundsatz „Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen außerordentlicher Belege" -- eine leichte positive Tendenz reicht hier kaum aus, um einen Paradigmenwechsel im Kuhnschen Sinne herbeizuführen. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Homöopathen hier die Beweislast tragen. Wir müssen ihnen so lange nicht glauben, wie sie keine überzeugenden Belege vorgelegt haben. Wer Homöopathie ablehnt, ist dagegen nicht in der Beweispflicht -- wie sollten man einen Zusammenhang widerlegen können, der nicht existiert? Die Wahrscheinlichkeit, dass an der Homöopathie etwas „dran ist", ist eben verschwindend gering, wenn auch nicht komplett ausgeschlossen.

Und genau deshalb können ordentlich gemachte Studien, und „Studien über Studien" (Metastudien) Licht ins Dunkel bringen. Wenn man aber versucht, alle Metastudien zur Homöopathie zusammen zu puzzlen, kommt man schnell ins Schwimmen. Das ist eine echte Mammutarbeit. Ich habe mich im Folgenden an einer knappen Übersicht versucht, basierend auf den Schlussfolgerungen aus den Zusammenfassungen der bekanntesten Arbeiten.

Klaus Linde et al.

Klaus Linde in Kolleg/innen publizierten 1997 im Lancet mit „Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled trials" den eigentlichen Klassiker, der immer noch gern von Homöopathen zitiert wird, um ihre Wundertherapie zu verteidigen. Dabei schreiben die Autor/innen schon damals:

„The results of our meta-analysis are not compatible with the hypothesis that the clinical effects of homoeopathy are completely due to placebo. However, we found insufficient evidence from these studies that homoeopathy is clearly efficacious for any single clinical condition." [Hervorhebung von mir]

Erstautor Klaus Linde schrieb daraufhin2005 im Lancet:

„Our 1997 meta-analysis has unfortunately been misused by homoeopaths as evidence that their therapy is proven."

Wenn der wüsste, wie sein eher zurückhaltendes Interview-Statement in „Faszination Wissen" für die BR-Sendung missbraucht wurde!

1998 schauten sich Linde et al. auch rein individualisierte Studien an und schlossen mit einem leicht positiven, aber nicht überzeugenden Ergebnis:

„The results of the available randomized trials suggest that individualized homeopathy has an effect over placebo. The evidence, however, is not convincing because of methodological shortcomings and inconsistencies."

1999 überprüften Linde et al. auch den Einfluss der Qualität der Studien auf die Effektgröße. Hier wurde erstmals festgestellt: Je besser die Studie, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man keine Wirksamkeit von Homöopathika jenseits des Placeboeffekts feststellen kann.

„In the cumulative meta-analyses, there was a trend for increasing effect sizes when more studies with lower-quality scores were added. [...] We conclude that in the study set investigated, there was clear evidence that studies with better methodological quality tended to yield less positive results."

In Bezug auf ihre ursprüngliche Arbeit von 1997 schrieben sie dort auch:

„The evidence of bias [in the original primary studies] weakens the findings of our original meta-analysis. [...] It seems, therefore, likely that our meta-analysis at least overestimated the effects of homeopathic treatments."

Edzard Ernst (2002): Eine Studie über Studien über Studien

Bereits 2002 waren so viele Metastudien aufgelaufen, dass Edzard Ernst eine systematische Übersichtsarbeit über systematische Übersichtsarbeiten erstellen konnte. Das Gesamturteil fiel vernichtend aus:

„Eleven independent systematic reviews were located. Collectively they failed to provide strong evidence in favour of homeopathy. In particular, there was no condition which responds convincingly better to homeopathic treatment than to placebo or other control interventions. Similarly, there was no homeopathic remedy that was demonstrated to yield clinical effects that are convincingly different from placebo."

Keine Spur von „außergewöhnlich starken Belegen".

Das proklamierte Ende der Homöopathie: Aijin Shang et al. (2005) im Lancet

Shang et al. 2005: Die wohl von den Homöopathiekritikern am häufigsten zitierte Arbeit.

„[W]hen account was taken for these biases in the analysis, there was weak evidence for a specific effect of homoeopathic remedies, but strong evidence for specific effects of conventional interventions. This finding is compatible with the notion that the clinical effects of homoeopathy are placebo effects."

Linde hat die Studie -- wie in der Sendung -- kritisiert, schreibt aber bemerkenswerterweise in einem Kommentar: „We agree that homoeopathy is highly implausible and that the evidence from placebo-controlled trials is not robust."

Die Autoren-Antwort findet man hier:

„We followed the approach of Klaus Linde and colleagues in assuming that, if the clinical effects of homoeopathy are placebo effects, the positive results seen in placebo-controlled trials of homoeopathy must be explained by bias in the conduct and reporting of trials. When these biases were taken into account in the analysis, little evidence remained for a specific effect of homoeopathy."

Hier zeigen die Autoren auch, dass es weitestgehend egal ist, ob man nur individualisierte Therapien betrachtet, oder alle. Der Aussage, dass höherqualitative Studien schlechter für die Homöopathen ausfallen, hat sich 1999 nicht geändert.

„In response to Flavio Dantas and to Walach and colleagues, the pattern seen for trials of classic, individualised homoeopathy was closely similar to that seen for all trials of homoeopathy (figure)."

Funnelplot

Funnel plot der 110 Homöopathie-Studien aus Shang et al. (2005). Eigentlich sollten die Punkte annähernd eine Pyramidenform ergeben. Rote Punkte: klassisch homöopathisch individualisierte Therapien, schwarze Punkte: andere homöopathische Therapien. Die Linien sind Regressionslinien. Diese sollte annähernd senkrecht stehen. (Quelle)

Womit die Frage nach den Auswirkungen des „korrekten" Studiendesigns auch beantwortet wäre.

Der Statistiker Rainer Lüdtke von der alternativmedizinischen Carstens-Stiftung und der niederländische Homöopath Lex Rutten werteten 2008 die oben genannten Daten neu aus und folgerten messerscharf „Die Schlussfolgerungen zur Effektivität der Homöopathie hängen stark von der Wahl der analysierten Studien ab". Ulrich Berger von der GWUP schreibt hier unten in den Kommentaren:

Zur Frage nach Studien, die "der Homöopathie gerecht werden", also klassische, individualisierte Homöopathie: Laut der Lüdtke-Rutten (2008) Reanalyse von Shang et al. (2005) finden sich unter den 21 hochqualitativen Studien 6 zu klassischer Homöopathie. Das Resultat der Metaanalyse dieser 6 Studien: OR = 0.78, CI = 0.46-1.32, p-value = 0.36. Also FAIL.

Markus C. Schulte von Drach merkte weiters an:

Die zwei schrieben im Abstract: "Homöopathie hat eine signifikante Wirkung über Placebo hinaus." [Das schließt alle 110 Studien, auch die von minderer Qualität, in die Analyse ein. M.B.] Das hat die Homöopathen natürlich gefreut. In der Studie selbst heißt es allerdings: "Unsere Ergebnisse belegen weder, dass homöopathische Mittel Placebos überlegen sind, noch belegen sie das Gegenteil." Tja, was denn nun?

Chochrane Collaboration und Edzard Ernst {#chochrane_collaboration_und_edzard_ernst}

Die Cochrane Collaboration gilt als eine der zuverlässigsten Quellen für Meta-Analysen. Hier gibt es jede Menge Reports zur Homöopathie, die ich unmöglich alle durchforsten will, zumal alle stichpunktartig geklickte Meta-Analysen weit entfernt sind von eindeutigen Ergebnissen zugunsten der Homöopathie (im Sinne von „außerordentlichen Belegen"). Glücklicherweise hat sich Edzard Ernst 2010 der Cochrane-Studien angenommen, und kommt zu einem wenig überraschenden Ergebnis:

„The findings of currently available Cochrane reviews of studies of homeopathy do not show that homeopathic medicines have effects beyond placebo."

Edzard Ernst hat im letzten Jahr zusammen mit Paul Posadzki und Amani Alotaibi noch eine andere, ziemlich ungewöhnliche Metastudie publiziert -- nämlich unter der Prämisse, dass Homöopathie wirkt! Es ist nämlich ungerecht, dass stets nur die positiven Wirkungen der Homöopathie zugeschrieben werden, und nicht etwa Verschlechterungen des Zustands der Patient/in. Die Autoren bewerten die Studienlage so:

„Homeopathy has the potential to harm patients and consumers in both direct and indirect ways. Clinicians should be aware of its risks and advise their patients accordingly."

Dass der Hobby-Quantentheorethiker Harald Walach und Leiter [von Hogwarts]{style="text-decoration: line-through"} des IntraG der Europa-Universität Viadrina daraufhin so viel Gift und Galle verspritzte, kann als Qualitätsindikator für die Studie gewertet werden.

Fazit

Natürlich gibt es immer wieder vereinzelt positive Resultate, das ist bei der üblichen statistischen Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% normal. Jede zwanzigste Studie ist falsch-positiv, und dann kommt natürlich noch der Publikationsbias dazu.

Aber in der Gesamtschau ergibt sich ein finsteres Bild für die Homöopathie und ein noch finstereres für die investigativen und wissenschaftsjournalistischen Fähigkeiten für die Redaktion von „Faszination Wissen".

Previous Post Next Post