Auf unserem Wissenschaft-Campus in Berlin-Buch soll im Laufe der nächsten Jahre ein neues Tierhaus für das biomedizinische Max-Delbrück-Centrum (MDC) gebaut werden. Tierrechtsorganisationen wie PeTA oder Ärzte gegen Tierversuche schreien seit Monaten Zeter und Mordio, lassen hunderte Menschen vor dem Campus demonstrieren, Kunstblut verspritzen, Wissenschaftler als gewissenlose Mörder beschimpfen, und so weiter. All das, was halt einem ruhigen Austausch von Argumenten sehr „zuträglich" ist.

PeTA verbreitet seit einiger Zeit den Spruch „Berlin ist Tierversuchshauptstadt", um die Dimensionen des MDC-Vorhabens plakativ als Verschlimmerung des schlechtest-denkbaren Zustand darzustellen. So sieht zum Beispiel ein Flyer der PeTA gegen den MDC-Neubau aus (Ausschnitt):

Peta flyer

Damit ist offenbar gemeint, dass in Berlin bundesweit die meisten Tierversuche durchgeführt werden, und zwar pro Stadt gerechnet. Aber wie sinnvoll ist es, eine absolute Zahl von 300.000 jährlich für Tierversuche verwendete Tieren herzunehmen und sie mit auf eine geographische Region festzunageln? 

Keine Frage -- die Aussage hat an sich überhaupt keinen Wert, aber immerhin kann so Berlin und dem MDC ein Superlativ angehängt werden, das die Situation überdramatisiert. Schon je Bundesland in absoluten Zahlen gerechnet belegt Berlin nur den dritten Platz hinter Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Aber warum werden in Berlin so viele Tiere „verbraucht"? Berlin ist keine gewöhnliche deutsche Stadt, denn sie besitzt eine unerreichte Dichte an universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen: Neben drei großen Universitäten (FU, HU, TU) gibt es die Charité und dazu kommen sechs Fraunhofer-Insitute, sechs Max-Planck-Institute, zwölf Leibniz-Instituten und drei Helmholtz-Zentren, eines davon das MDC. Dazu kommen noch Landeseinrichtungen und Bundesinstitute wie das Bundesinstitut für Risikobewertung. 

Aber genauso unsinnig, wie Tierversuche auf geographische Lage, die Einwohnerzahl oder Fläche zu berechnen, ist es, sie mit der Anzahl der Forschungseinrichtungen ins Verhältnis zu setzen. Besser wäre es, man rechnet es gegen Anzahl der Arbeitsgruppen, Anzahl der Wissenschaftler oder Umfang der bewilligten Forschungsgelder auf. 

Der größte Geldgeber für Forschungsgelder ist in Deutschland die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die DFG. Die MDC-Website findet, die DFG-Förderungen korrelieren ganz gut mit der Anzahl der Tierversuche, und zwar besonders mit den Mitteln für die (bio)medizinische Forschung (klicken macht groß): 

4090-NewImage.png Anzahl der tierversuche nach Bundesland

Das stimmt zwar, aber besser wären doch konkrete Zahlen, die man miteinander ins Verhältnis setzen kann. Die DFG rechnet in den Bildern oben je Region oder Uni, die MDC-Grafik bezieht sich auf Bundesländer. Der DFG-Förderatlas 2012 und offizielle Zahlen zur Zahl der für Tierversuche verwendeten Tiere schaffen Abhilfe zu diesem Problem. Die Tabellen im A-9 und A-20 im Förderatlas enthalten Zahlen über die meisten geförderten Unis und außeruniversitären Forschungsinstitute und wenn man das näherungsweise zusammenrechnet, kommt man auf die folgende Tabelle (auch bei Google Docs): 

Table

Für die Berechung habe ich nur die Fachgebiete Biologie, Medizin und Tiermedizin/Agrar-/Forstwirtschaft herangezogen und Forschungsinstitute ohne offensichtlichen Biomedizinischen Hintergrund von der Berechnung ausgenommen. Die Kennzahl ganz rechts setzt die Zahl der Tierversuche (2010) mit den DFG-Geldern (2008-10) ins Verhältnis. Hier zeigt sich, dass im Rahmen einer gewissen Variation das Verhältnis aus verwendeten Tieren und investierten Geldern recht stabil ist. Die Variation erklärt sich etwa mit dem Forschungsschwerpunkt, den sich die jeweilige Einrichtung setzt: Die Uni Potsdam hat einen Fokus auf Pflanzen, und nicht einmal eine medizinische Fakultät, womit sich die niedrige Kennzahl für Brandenburg erklärt. Wo mehr biomedizinisch geforscht wird, werden auch mehr Tiere benötigt. 

Man kann auch die Zahl der für Tierversuche verwendeten Tiere gegen die DFG-Gelder auftragen und eine lineare Regression durchführen: 

Graph

Hier ist es besonders gut erkennbar: Die Zahl der Tiere korreliert stark mit dem Menge der Forschungsgelder und variiert mit dem jeweiligen Forschungsschwerpunkt der Einrichtung. 

Berlin ist in der Tat im Städevergleich Forschungshauptstadt. Die drei Berliner Unis haben in dem betrachteten Zeitraum 176 Millionen Euro für die Lebenswissenschaften bekommen, zehn außeruniversitäre Institute noch einmal 40 Millionen. Macht in Summe 216 Millionen. Nur die Münchner Forschungslandschaft schafft es in ähnliche Höhen: Die Unis haben aber 190 Millionen zu den 18 Millonen der beiden außeruniversitären Institute zusammengetragen. 

An der unsinnigen Behauptung, Berlin wäre „Tierversuchshauptstadt" kann man also kaum etwas sinnvolles finden. Aber PeTA ist weder der Wahrheit, noch einer neutralen Darstellung verpflichtet. 

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Links

Hinweis: In einer früheren Version hatte ich "Zahl der Tierversuche" mit "Zahl der für Tierversuche oder im Rahmen von Tierversuchen verwendeten Tiere" gleichgesetzt. Das ist natürlich nicht korrekt -- in der Regel führt man mehrere Versuche pro Tier durch, und die Zahl der Tierversuche ist meines Wissens etwa drei Mal höher.  Außerdem habe ich den Beitrag versehentlich mit einer alten Version überschrieben, und musste verloren gegangene Stellen rekonstruieren. Es kann also sein, dass bestimmte Sätze fehlen oder verändert scheinen. 

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