Da steht sie nun in grauem Granit, direkt vorm Lübbener Bahnhof: Eine Frau in Kirchgangstracht, unbewegt, traditionsbewusst, bodenständig. Seit dem 25. April begrüßt das Abbild der Straupitzerin Marga Morgenstern die Besucher. In einem Instagram-Post sagt die Stadt, sie sei ein Bekenntnis zur sorbischen/wendischen Kultur – ein schöner Gedanke. Auf den letzten Metern scheitert sie damit aber.
Denn auf ihrem Sockel findet sich kein einziges Wort in niedersorbischer (wendischer) Sprache. Stattdessen: „Spreewaldfrau“. Nicht etwa „Wendin“, geschweige denn „Dolnoserbowka“.
Das ist nicht einfach ein bedauerliches Versäumnis. Es zeugt von Ignoranz, im schlimmsten Fall von Geschichtsvergessenheit. Was heute unter dem Begriff „Spreewaldtracht“ durchgeht, ist nichts anderes als die wendische Tracht, wie sie jahrhundertelang auch außerhalb des Spreewalds getragen wurde – bis heute noch zu besonderen Anlässen und nicht nur für die Touris. Dass diese heute vielerorts „Spreewaldtracht“ genannt wird, ist kein sprachliches Versehen. Der Begriff setzte sich spätestens in der NS-Zeit durch.
Es gehörte zur erklärten Strategie der Nazis, die Wenden als „deutschen Volksstamm“ zu vereinnahmen. Das war, bevor die Nazis ihre Rassenlehre soweit entwickelt hatten, dass sie die Lausitzer Slawen als minderwertig einstuften und letztlich als „führerloses Arbeitervolk“ in den Osten deportieren wollten (wozu es bekanntlich nicht mehr kam). Zunächst erfuhr die als „deutsche Spreewaldtracht“ umgelabelte Kleidung Förderung als vermeintlich urdeutsches Symbol.
Aus der Briefmarkenserie Winterhilfswerk 1935 (Bild gemeinfrei)
Die Vereinnahmung erschien wohl auch deshalb lohnenswert, weil die NSDAP bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 in den wendischen Siedlungsregionen sensationelle 60 Prozent erzielte – weit über dem Berlin-Brandenburger Schnitt von 24.
Doch die Begriffe „sorbisch“ oder „wendisch“ mussten weg, die slawische und undeutsche Sprache wurde verboten, die wenigen niedersorbischen Intellektuellen wie Mina Witkojc ausgewiesen. Damit steht der Titel des Denkmals sinnbildlich für diese kulturelle Entkernung, die schon vor den Nazis begann.
Bis 1790 wurde in der Lübbener Nikolaikirche noch niedersorbisch gepredigt, um 1750 waren die umliegenden Dörfer fast vollständig wendischsprachig. Und als der sorbische Sprachforscher Arnošt Muka 1884 in die Gegend kam, fand er keine wendischen Sprecher mehr.
Dass ausgerechnet in Lübben – vor ein paar hundert Jahren also ein Zentrum der niedersorbischen Sprache – niemand auf die Idee kam, bei der Gestaltung der Statue wendische Expertise einzuholen, ist erstaunlich. Stattdessen gab’s später ein bisschen Feigenblatt auf Instagram: „#niedersorbin #wendin #dolnoserbowka“ heißt es dort in dem oben verlinkten Post. Ob drei Hashtags genug sind gegen drei Jahrhunderte der Verdrängung?
Heute scheint die Region mit dieser Geschichte abgeschlossen zu haben. Man will lieber „regional“, touristisch anschlussfähig und harmlos sein. Bitte nicht zu slawisch! In der Lausitz ist man oft besonders deutsch. Und das zeigt sich auch politisch: Nicht nur gilt Südbrandenburg als Hotspot des rechtsradikalen und gewaltbereiten Szene. Bei der letzten Bundestagswahl bekam die vom Verfassungsschutz inzwischen als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD in Lübben 39 Prozent.
Wer seine Herkunft verleugnet, sucht nach Ersatzidentitäten. Und wo Geschichte getilgt wird, entsteht ein Vakuum, das die Nationalisten nur allzu gern füllen.
Titelbild: Ansichtskarte von Lübbenauer Frauen und SS-Männern, via Bernhard Schipper (dustdbugger) auf Instagram