Ganz sicher krebserzeugend im Menschen: Sonnenlicht, alkoholhaltige Getränke oder Plutonium. Und Glyphosat, das beliebteste Unkrautvernichtungsmittel der Welt? Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC, der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstellt, hat die Substanz kürzlich auf den Index gesetzt und klassifiziert sie fortan als „wahrscheinlich krebserzeugend". Ganz sicher ist sich das Gremium aus 17 Experten aus 11 Ländern also noch nicht. Trotzdem besteht Anlass, etwas genauer hinzuschauen.

Es ist schon eine Crux mit der Sicherheitsforschung. Gerade eben hatte das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) über 1000 Studien ausgewertet und die Ergebnisse in einem 2500 Seiten dicken Wälzer vorgelegt. Das Ergebnis: Es gebe keine stichhaltigen Hinweise, dass Glyphosat im Menschen krebserzeugend wirkt. Die bestehenden Grenzwerte sollten sogar gesenkt werden. Und ein anderes Gremium der WHO, nämlich das WHO/FAO Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR), stufte Glyphosat ebenfalls als unbedenklich ein. Im März setzte die IARC die Substanz auf die Liste 2A -- probable carcinogen. Am 29. Juli erschien nun die ausführliche Begründung in Form einer Monografie.

Die WHO hat nun ein eigenes task force-Expertenteam zusammengestellt, das zuerst einmal die widersprüchlichen Ergebnisse innerhalb der eigenen Organisation aufklären soll. Das BfR, das Glyphosat für die EU-Zulassung neu bewerten sollte, prüft nun auch erst einmal eingehend den IARC-Bericht. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.

Die Gremien scheinen sich nicht einig zu sein, welche Art von Studie für die Bewertung qualifiziert ist und welches Gewicht man welcher Arbeit beimessen sollte. Eine vielleicht entscheidende Meinungsverschiedenheit betrifft, ob man auch Tierversuchsstudien einbezieht, in denen nicht nur reiner Wirkstoff, sondern auch Mixturen mit teils unbekannten Inhaltsstoffen untersucht wurden. Hier besteht Klärungsbedarf.

Für krebserzeugendes Potential im Menschen sieht das IARC selbst nur „eingeschränkte Nachweise" (limited evidence) -- das BfR konnte nach Auswertung von 30 entsprechenden Studien keinen solchen Zusammenhang erkennen. Der Pharmakologe Prof. Alan Boobis vom Imperial College London meint dazu, dass die Bewertung von epidemiologischen Studien extrem schwierig sei. „Feldarbeiter, die am häufigsten untersuchte Gruppe, sind fast nie nur einem einzigen Pestizid ausgesetzt. Es ist hier sehr schwer, Ursache und Wirkung festzustellen."

Dass verschiedene Wissenschaftler zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, ist aber normal. Die Wissenschaft ist ein zuweilen recht chaotischer Prozess, der selten absolute Wahrheiten zulässt. Meinungsverschiedenheiten zuzulassen ist eine notwendige Voraussetzung, wenn wir etwas lernen wollen. Unser Wissen ist ständig im Fluss und so kann es gut sein, dass neue Erkenntnisse nun zu einer anderen Bewertung des Pestizids führen, als früher.

Oliver Jones von der RMIT University in Melbourne sagt: „Ja, Pestizide sind gefährlich. Aber viele andere normale Dinge sind ebenfalls gefährlich in ausreichender Menge und über längere Zeit -- die Dosis macht das Gift."

Man sollte auch nicht vergessen, dass die Zulassungsbehörden und die IARC ganz unterschiedliche Aufgaben haben, beschwichtigt Prof. Alan Boobis: „Die IARC betreibt keine Risikobewertung. Es bestimmt das krebserzeugende Potenzial einer Substanz, und keine Wahrscheinlichkeiten." Die Anwendung, die konkreten Bedingungen, der Wirkmechanismus -- all das habe keinen Einfluss auf die IARC-Klassifizierung. Die Klassifizierung durch die WHO ist für die Zulassungsbehörden der Nationen nicht bindend und wirkt sich somit nicht direkt auf Gesetze aus.

Sollte es sich allerdings bewahrheiten, dass Glyphosat nun nach veränderter Studienlage begründet als krebserzeugend gilt, sollte es schnellstmöglich vom Markt verschwinden und durch sichere Stoffe ersetzt werden -- gar keine Frage. Die Ergebnisse sind aber umstritten, deshalb sollte man bis zur Einigung der Experten abwarten, bevor man in Panik verfällt.

Halt, da war doch noch was! Hatten die vielen Glyphosat-Kritiker nun eigentlich Recht? Die Naturschutzorganisation BUND etwa, die in einem Werbespot Flugzeuge aufsteigen ließ, um Babys totspritzen zu lassen? Oder Gilles-Eric Séralini, der französische Forscher, der zwei Jahre lang glyphosathaltiges Wasser an Ratten verfütterte und dann behauptete, die entstehenden Tumore wären auf das Unkrautvernichtungsmittel zurückzuführen?

Die Antwort ist ein klares „Nein". Die Studien, mit denen der BUND seinerzeit seinen Standpunkt untermauern wollte, waren lächerlich und sagten teilweise das Gegenteil von dem behaupteten aus. Ganz klar ist das Töten von Babys in einem Werbespot äußerst geschmacklos -- der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Gilles-Eric Séralini und seine umstrittene Rattenstudie wird indes im IARC-Report erwähnt. „Die Arbeitsgruppe hat diese Studie [...] als inadäquat für die Bewertung beurteilt: Die Zahl der Tiere war gering, die histopathologische Beschreibung der Tumore war schlecht und es gab keine Fallzahlen für Tumore von einzelnen Tieren." -- Keine weiteren Fragen!

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