Update 3: Nachlese hier

Update 2: Wie Frau Meike in ihrem Blogpost beschreibt, handelt es sich bei dem kranken Schwein in Wirklichkeit um eine misslungene Werbekampagne der Deutschen Krebshilfe gegen übermäßigen Sonnen- und Solariumskonsum: "Rosi hat Schwein gehabt". Bei der Aktion war die Werbeagentur Jung von Matt mit dem fragwürdigen Konzept, das offenbar die Konsultation von Fachleuten ausschloss, und auch Nilz Bokelberg als eine Art gewollt-und-nicht-gekonnter social-media-Multiplikator beteiligt. Die ganze Aktion hat erst nach der Aufklärung bei sternTV an etwas an Fahrt gewonnen, und Sascha Lobo nannte es das misslungenste Viral des Jahres. Man muss sich nur anschauen, wie wenig Leute eigentlich darüber diskutierten und wie viele Suchtreffer die Suche nach der IP ergab (mehr dazu oben in Update 3). Es gab nie einen echten Hype, und viele Tage war diese Seite hier der einzige Google-Suchtreffer. Alles in allem ist die ganze Geschichte ziemlich geschmacklos, dazu handwerklich schlecht gemacht und komplett gegen den Baum gefahren, denn niemand hat sich um den Hautkrebs geschert, alle wollten nur wissen, was man da dem Schwein antut. Einige vermuteten einfach Tierquäler hinter der Aktion. Was für eine wirklich jämerliche Geschichte.

Update: da die Site nun seit Tagen offline ist, hab ich unten noch ein paar Bilder aus den Videos eingepflegt, damit man als Leser in etwa weiß, worum es geht. Bis auf Tag 7 habe ich alle Daten lokal abgespeichert. 

Entweder läuft unter http://46.245.180.132/ (inzwischen offline) eine geschmacklose Inszenierung eines Tierversuchs, oder es sind Amateure am Werk. Vielleicht sogar beides.

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Primitivstes Layout: Links die Navigation zu den einzelnen Versuchstagen", rechts oben eine Tabelle mit den Daten, darunter Fotos und Videos.

Auf der oben genannten Seite ohne Namen wird ein vorgeblicher Tierversuch dokumentiert, bei dem ein einzelnes Schwein in einem extrem geräumigen und mit IKEA-Möbeln vollgestellten Labor mit einer vorgeblichen UV-Lampe (308 nm Wellenlänge) bestrahlt wird. Es soll offensichtlich der Eindruck erweckt werden, dass hier ein internes Versuchs-Dokumentationssystem "aus Versehen" für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Die Website selbst trägt als Titel "KEU/UDLWH 54154/5/054".

Das alles wirkt äußerst unecht, bis vielleicht auf die Fotos und Videos des Tieres. Bilder emotionalisieren ja schnell, und lassen einen deshalb vielleicht schneller über die Fehler der Inszenierung hinwegsehen. Meine Vermutung ist, dass das ein dummes Viral" ist, was die Leute aufwühlen soll.

Der \@Nilzenburger hat das bereits vor ein paar Tagen verbloggt und die Echtheit angezweifelt. Auf Initiative von \@fatmike182 haben eine Reihe von Interessierten auf einem Piratepad Indizien für einen Fake zusammengetragen. Ich hab die mal hier unten geordnet.

Die Website

Wer dokumentiert seine Versuche so öffentlich? Oder sollte das ein Versehen sein?

  • Eine Website mit eigens eingebundenen Bildern und Videos zur Versuchsdokumentation ist zumindest sehr ungewöhnlich.
  • Es ist Google Analytics (ID: UA-34539622-1) auf der Seite eingebunden, dessen Aufgabe es ist, die Besucher statistisch zu erfassen. Die Sinnhaftigkeit für ein derartiges Website-Analyse-Tool erschließt sich für eine interne Seite nicht.
  • Gehostet bei der Münchener Firma Mivitec läuft die Site auf nginx mit PHP5.3.16-1\~dotdeb.0, ist also ein aktuelles Debian basiertes LAMP System, das unter Umständen auf hohe Lasten ausgelegt ist. (Das einzuschätzen, übersteigt aber meinen Horizont.)
  • Die Videos, die angeblich von verschiedenen Tagen stammen, haben alle das selbe Erstellungsdatum (creation date), nämlich den 01.08.12, zu verschiedenen Uhrzeiten. Das könnte darauf hindeuten, dass das Schwein innerhalb eines Tages zurechtgeschminkt wurde.
  • Die Bilder tragen als creation date allesamt den 27.08.2012 und passen somit nicht zu den auf der Website angegebenen Messpunkten.

Tabelle{

Die Dokumentation" passt auf die Rückseite eines Bierdeckels

Das Setting

Vieles weist darauf hin, dass es sich hier nicht um ein echtes Labor handelt.

  • Das Labor ist extrem groß. Es steht praktisch kaum etwas drin, und das Schweinegehege benötigt extrem viel Platz.
  • Ein Großteil der Einrichtung stammt von IKEA: Die weißen Stühlen nennen sich im Katalog "Snille" und die beleuchteten Schränke sehen aus wie der Kleiderschrank "Pax" mit Milchglas-Türen.
  • Sowieso sind mir in einem Labor noch keine innenbeleuchteten Laborschränke untergekommen. Wer braucht sowas?
  • Die Geräte auf den Tischen werden (außer dem Computer) nicht benutzt und wirken  sinnlos zusammengewürfelt.
  • Ein Ständer zum Trocknen von Glasgeschirr steht zwischen den Computern. Nicht nur ist das ein eher ungewöhnlicher Ort, auch ist (auch in Türnähe) keine Spüle erkennbar.
  • Einer Rührplatte mit Erlenmeyerkolben mit einer undefinierbaren grünen Flüssigkeit eiert in einem Video vom ersten Tag vor sich hin. Die Flüssigkeit kommt nicht zum Einsatz, aber sieht für Laien vermutlich "schön wissenschaftlich" aus.
  • Die "UV-Lampe" hängt völlig unabgeschirmt im Arbeitsbereich und würde somit Augen und Haut gefährden, sobald man längere Zeit in dem Raum arbeitet. Dabei sind in den Videos sind meistens zwei Personen erkennbar, die dort arbeiten.
  • Die Verwendung der Handkamera bringt keinen Erkenntnisgewinn, nur Wackelbilder.
  • Es wird vor allem das Personal gefilmt, statt des vorgeblichen Versuchstieres: Forscher sprechen in die Kamera, Forscher fotografieren das Schwein, Forscher nehmen Messungen vor, Forscher werfen Dinge in den Mülleimer (ohne Mülbeutel?!) oder streicheln das Schwein. Es entsteht irgendwie der Eindruck, es soll das Verhalten der "Forscher" gezeigt werden.
  • Aus einem nicht erkennbaren Grund sind für den Versuch zwei Personen notwendig, die außerhalb der "Messungen" aber oft keiner besonderen Tätigkeit nachgehen (außer demonstrativ mit dem Stift auszuholen, etc.).

Labor

Das große Labor mit Snille & Pax (IKEA-Möbel). Die Lampe ist noch nicht angeschaltet.

Der Trockenständer

Der Trockenständer und ein paar Chemikalien auf dem Schreibtisch

innenbeleuchteter Chemikalienschrank

Der innenbeleuchtete Chemikalienschrank, sieht alles ganz gruselig aus ...

Der Versuch

Egal, ob es ein Hoax ist, oder ein echter Versuch: Mit den Ergebnissen kann man mit Sicherheit nichts vernünftiges anfangen.

  • Es herrschen so etwas wie "Reinraumbedingungen": Die Forscher sind in voller Kluft im Labor, man erkennt nicht mal ihre Gesichter. Wozu der Aufwand, wenn man nur ein Schwein mit UV-Licht bestrahlen will?
  • Es ist nur ein Versuchstier erkennbar und keine Kontrollgruppe. Ganz schlecht, wenn man seine Ergebnisse später statistisch auswerten will.
  • Die erfassten Daten sind äußerst spärlich und rechtfertigen nicht das Aufsetzen einer eigenen Doku-Website.
  • Die Messpunkte folgen keinem Schema und sind vollkommen willkürlich gewählt.
  • Die Videos sind zu kurz und zu wenig "standardisiert", um von wissenschaftlichem Wert zu sein.
  • Bei den Fotos ist das ein wenig anders, die wirken relativ authentisch. Allerdings ist kein Maßstab o.ä. im Bild sichtbar, was sonst üblich ist.
  • Die "Forscher" sprechen am ersten Tag (T1) gestelzt in die Kamera: "Start der Versuchsreihe 13 mit Objekt 1243". Aber wer bezeichnet ein Versuchstier als "Objekt"? Wohl eher als "Tier Nr. soundso". Außerdem erinnert die Objektnummer an die Ziffernfolge "1234".
  • Die gesprochenen Informationen sind sehr dürftig. Für eine ordentliche Dokumentation bräuchte man schon ein wenig mehr Informationen.
  • Man sollte meinen, dass für so einen Versuch der Energiefluss am Versuchstier gemessen und protokolliert wird und nicht nur die Intensität an der Lampe reguliert.
  • Das Messgerät an Tag 3 (T3, unteres Video) zeigt anderen Wert als den eingetragenen Wert.  Es war auf dem Piratepad keinem klar, ob dieses Gerät überhaupt zur Sauerstoffmessung geeignet ist.
  • Es gibt auch keine Genotyp-, Rassen- oder Herkunftsinformationen für das Schwein.
  • Es sind Chemikalienflaschen bunt auf den Schreibtischen verteilt, obwohl offenbar nur Vitalfunktionen erfasst werden, keine Applikation von Substanzen.
  • Am Tag 7 (T7) gibt es angeblich starken Speichelfluss, im Video sieht es aber eher so aus, als wenn dem Tier Wasser vom Trinken aus dem Maul läuft. Der Wassernapf ist sogar noch im Bild.
  • Es ist unklar, was das Versuchsziel ist. Wollte man die Schweinehaut als Modell für durch UV-Strahlung verursachte Schäden hernehmen, fragt man sich, weshalb die Borsten nicht abrasiert wurden.

Versuchsbeginn

"Start der Versuchsreihe 13 mit Objekt 1243" auffallend junger Forscher mit auffallend sauberem Kittel, der auffallend wenig Informationen in auffallend todernster Stimme unnötigerweise in die Kamera spricht. Links im Bild sieht man Eppendorf-Pipetten im Wert von locker 1000 EUR.

Fiebermessen

 Fieber messen: Gut, dass das Knie des Schauspielers im Weg ist, damit man dem Schwein nicht wirklich am Anus herumfummeln muss.

taking notes

"Schaut alle her, ich mache eine Notiz!!"

sloppy work

"Schaut her, wie schlampig wir arbeiten!"

Die Website ist bei der Münchner Firma MIVITEC gehostet, das heißt, dort liegen die Dateien auf einem Server rum. Die \@terrorzicke hat soeben (05.09.12, 15:20) über das Piratenpad bekannt gegeben, dass sie die Münchner Polizei kontaktiert hat, die nun wiederum an den Hoster herantreten will. (Nachtrag: Noch am selben Abend hat sich die Website verabschiedet, also zwei Tage nach dem Bekanntwerden der Aktion durch Nils Bokelberg.)

Angesichts der Bilder kann einem schon anders werden, aber wenn man ein talentierter Maskenbildner ist, kriegt man auch solche "Wunden" hin, denke ich. Weitere Infos können gerne in die Kommentare gepostet werden. Der Twitter-Hashtag zum Thema lautet übrigens #krankesSchwein.

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