Anders als Blogs und Twitter bilden die Freundschaften auf Facebook kein Interessennetzwerk, sondern ein wirkliches soziales Netz. Das Potenzial für Wissenschaftskommunikation ist groß, findet Craig McClain: Wissenschaftler*innen agieren in ihrem persönlichen Umfeld als „Vertrauens-Nerds" und das sollte man fördern. 

Blogs und Twitter-Accounts lassen sich häufig thematisch gut einordnen und bilden Interessens-Netzwerke: Das ist die vielgescholtene „Filterblase", die einen mit einem schier unendlichen Strom von jenen Meldungen versorgt, mit denen man sich leicht identifizieren kann.

Wissenschaftler*innen als soziale Wesen

Facebook ist anders. Dort gibt es neben den Interessennetzwerken („Gruppen" und „Seiten") auch die real existierenden sozialen Verbindungen in Form von „Freunden". Die Familie und alte Schulkamerad*innen finde ich dort genauso wie Bekanntschaften und Arbeitskolleg*innen. Für mich ist das oft mehr Schatten als Licht: vieles in er eigenen Timeline ist schlicht uninteressant, ich erfahre mehr über den rassistischen Onkel oder impfkritische Kita-Bekanntschaft, als mir lieb ist.

Dieses facettenreiche Meinungsbild ist vielleicht nervig, kann aber auch als Chance begriffen werden, sagt der Meeresbiologe Craig R. McClain in einem Paper auf der Community-Page des Fachjournals PLoS Biology. Er plädiert für eine verstärkte Wissenschaftskommunikation von Wissenschaftler*innen im eigenen persönlichen Umfeld, um „Fake News" und „alternativen Fakten" besser entgegenzutreten. Das ist besonders im Hinblick auf den March For Science interessant. Dieser hat gezeigt, dass es viele Wissenschaftler*innen und Wissenschaftsinteressierte gibt, die sich an dem Vertrauensverlust der Bevölkerung und Politik in die Wissenschaft stören und für die Werte der Wissenschaft auch auf die Straße gehen.

Privat und nicht beruflich

McClain diskutiert die Ergebnisse einer eigenen Umfrage auf Social-Media-Websites und zitiert eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, dass Wissenschaftler*innen ihre wissenschaftliche begründeten Ansichten in ihrem persönlichen Umfeld und sozialen Netzwerken nur wenig Ausdruck verleihen. So sind knapp die Hälfte der Akademiker*innen zwar täglich auf Facebook aktiv und pflegen dort große, vielfältig zusammengesetzte Netzwerke. Sie sind dort aber überwiegend „privat" unterwegs. Für den beruflichen Austausch ziehen sie Twitter, LinkedIn oder ResearchGate vor. Blogs, Foren und Podcasts werden von McClain zwar kaum thematisiert, sind meiner Ansicht nach auch vergleichbar themengetrieben.

Gerade bei Facebook liegt viel ungenutztes Potential, argumentiert McClain. Gegenüber der institutionellen, strategischen Wissenschaftskommunikation hat der direkte Austausch zwischen Facebook-Freunden ganz eigene Qualitäten. Die Beziehungen über Facebook sind authentisch, weil persönlich und oft durch den Kontakt in der physischen Welt abgesichert. Die direkte menschliche Interaktion ist sehr wertvoll und vertrauensbildend, wie auch André Lampe mit seinem Kneipenformat „Plötzlich Wissen" bestätigen könnte.

Außerdem erreichen Wissenschaftler*innen über ihr soziales Umfeld ein viel breiteres Publikum als ein streng auf die Zielgruppe zugeschnittenes Kommunikationsprodukt einer Institution. Sie haben auch einen nachhaltigeren Effekt, als eine Signalveranstaltung wie der March For Science je erreichen könnte.

Wissenschaftler*innen gälten unter ihren Freunden bereits als „Nerds of Trust", also Vertrauenspersonen, die kontroverse Probleme mit Hilfe ihrer kritischen und analytischen Fähigkeiten einschätzen können. Diese Gelegenheit nähmen Wissenschaftler*innen aber nicht wahr, obwohl sie zum Beispiel Pseudowissenschaft, Fakes und Lügen in ihrer eigenen Timeline und in Facebook-Gruppen mit knallharter Argumentation entgegen treten könnten -- sichtbar und zum Nutzen für alle Mitleser*innen. McClain schreibt: „Your personal Facebook audience is large and listening."

Förderung von oben und unten

Wie aber soll diese Art der Individualkommunikation gefördert werden? An dieser Stelle kommt auch McClain ins Schwimmen. Die Zuwendungsgeber erkennen diese Form der Wissenschaftskommunikation nicht als solche an und fördern sie entsprechend nicht finanziell. Der Autor hofft hier auf eine bessere Quantifizierung der Kommunikations-Anstrengungen, um Kosten und Nutzen ins Verhältnis setzen können.

Derzeit bleibt also nur der Appell an den individuellen moralischen Auftrag, im täglichen Leben für die eigenen Standpunkte und eine durch Argumente getriebene Diskussion einzustehen. Dieser Impuls kann von „unten" kommen, aus der Wissenschafts-Community selbst und getrieben von Zeitgeschehen. Beispiele sind Wissenschaftsblogs wie dieses hier, der March For Science oder der Skeptiker-Verein GWUP, dem zahlreiche Wissenschaftler*innen angehören.

Auch von „oben", also „offizieller" Seite kann zumindest dazu ermuntert werden, wie es die Akademien-Arbeitsgruppe „Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien" (#WÖM) in ihrer noch druckfrischen Stellungnahme tut. Wenn auch nur ganz am Ende unter „Empfehlung 10: Verstärkt öffentlich kommunizieren und Rollen transparent machen" und das Ganze mit dem Hinweis zu relativiert, dass das ja nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen soll, damit genug Zeit für das Grant-Schreiben, Lehre und Forschung bleibt. Der soziale Aspekt der sozialen Netzwerke hat bei #WÖM nicht allzu große Bedeutung, wie auch Lars Fischer anmerkt.

Hinderungsgründe

Facebook und überhaupt Social Media bedeuten natürlich einen Kontrollverlust für Wissenschaftsinstitutionen. Debatte und der offen ausgetragene Konflikt vertragen sich nicht gut mit der Wissenschafts-PR, die die eigene Institution in politischen Kreisen und bei den „Zuwendungsgebern" in ein möglichst genehmes Licht zu rücken und ein positives Image pflegen will.  Wenn sich Wissenschaftler*innen aber als Botschafter ihres Hauses verstehen, werden sie möglicherweise vor öffentlichen Auseinandersetzungen zurückschrecken -- auf Facebook und anderswo.

Und natürlich frisst das Engagement in den sozialen Medien Zeit. Aus der fachlichen Perspektive der Wissenschaftler*innen ist es vermutlich lohnenswerter, innerhalb der Filterblase zu bleiben. Auch ich habe eines der größten Probleme während meiner Doktorarbeit durch Hinweise und neue Kontakte auf ResearchGate lösen können. McClains Argument ist jedoch: Leute, ihr seid sowieso auf Facebook. Wenn ihr dort die Sachen postet, die sonst nur auf eurem Twitter landen, und Bullshit als Bullshit benennt, dann haben alle etwas davon.

Zum Schluss der vermutlich wichtigste Hinderungsgrund: Facebook filtert den Nachrichtenstrom stärker als früher, als alle Meldungen noch chronologisch als „Timeline" erschienen. Inzwischen kommt bei der Nutzer*in nur noch das an, was der Algorithmus als lesenswert erachtet -- und muss bewusst durch gezielte Facebook-Einstellungen gegensteuern. Womöglich sind also die Möglichkeiten, direkt auf die eigenen Freunde einzuwirken, gar nicht mehr gegeben.

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via \@Anhaeuser

Bevor daran Zweifel aufkommen: Meine hier stellenweise geäußerten Meinungen sind natürlich meine rein privaten Gedanken. Sie spiegeln in keiner Weise die Einstellung meines Arbeitgebers wider.

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