Elsevier kann es nicht lassen. Jetzt hat sich das Verlagshaus einen Open-Access-Artikel bezahlen lassen, wie der Biologe Ross Mounce berichtet.

„Die Autoren, oder ihre Geldgeber oder Institutionen bezahlten [...] wahrscheinlich Geld, damit der Artikel weltweit frei zur Verfügung steht. Aber heute Nacht verkaufte mir Elsevier den Artikel über ihre ScienceDirect-Plattform."

Der Artikel in der Fachzeitschrift Clinical Microbiology and Infection steht unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives International license -- also einer eingeschränkt freien Lizenz, die die Weiterverbreitung bei Nennung der Urheber erlaubt, aber kommerzielle Nutzung genauso ausschließt wie Veränderungen an der Arbeit. Die Zeitschriften lassen sich diese Freiheit in der Regel mit mehreren tausend Euro teuer bezahlen.

Wenn Wissenschaftler/innen ihre Forschungsergebnisse unter einer Open-Access-Lizenz veröffentlichen, müssen sie davon ausgehen können, dass sie auch frei verfügbar sind. Das konventionelle Geschäftsmodell, also teure Abonnements an Bibliotheken zu verkaufen, und Zugriffssperren und Bezahlschranken zu errichten, ist damit eigentlich ausgeschlossen.

Wie es scheint, ging in dem vorliegenden Fall einiges durcheinander. Der Vorfall ist noch nicht ganz aufgeklärt, aber nach Auskunft Elseviers wurde die Clinical Microbiology and Infection dem Konkurrenten Wiley abgekauft. Es ist gut möglich, dass bei dem Transfer schlicht übersehen wurde, dass neben konventionellen auch freigekaufte Open-Access-Artikel in der Zeitschrift enthalten waren.

Von Vorsatz auszugehen, wäre unfair. Mangelnde Sorgfalt muss sich Elsevier trotzdem vorwerfen lassen. Es ist nicht das erste Mal, dass der Verlag Open-Access-Artikel widerrechtlich verkauft. Erst letztes Jahr wurde bekannt, dass der Verlag „aus Versehen" mindestens 50 Leuten mehrere Tausend Euro für Open-Access-Artikel abknöpfte.

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Wissenschaftliche Verlage haben üblicherweise Gewinnmargen jenseits von 35% und zählen damit zu den profitabelsten Industrien, weit entfernt von der Pharma- oder Ölindustrie oder Apple. Elsevier und Wiley haben mit Sicherheit genug Geld, um etwa den reibungslosen Transfer von Lizenzen sicherzustellen, und zwar dauerhaft. Zur Not muss man dafür dann ein oder zwei Personen zusätzlich einstellen.

Allerdings ist das Image der wissenschaftlichen Verlagshäuser inzwischen so stark beschädigt, dass es sich vielleicht einfach nicht lohnt, auf diese Dinge zu achten. Nachdem tausende Autoren Elsevier den Boykott erklärten, Fake-Zeitschriften mit als Wissenschaft getarnter Pharma-Werbung entdeckt wurden, Verbindungen zur Waffenindustrie bekannt wurden und der Verlag juristisch gegen Autoren vorgeht, die ihre eigenen Artikel auf ihre Websites stellen, kann der Konzern in seinem Ansehen eigentlich nicht tiefer sinken.

Vielleicht haben sich Wiley und Elsevier auch einfach in dem Paragraphendschungel der eigenen Lizenzvereinbarungen verirrt. Immerhin scheint Elsevier mit Autor/innen Vereinbarungen zu treffen, die einerseits dem Open-Access-Gedanken zuwiderlaufen, und andererseits im direkten Widerspruch zur offenen Creative-Commons-Lizenz zu stehen scheinen. Sowohl Wiley als auch Elsevier sichern sich in ihren Verträgen mit den Autor/innen exklusive Rechte zur kommerziellen Nutzung und Hoheit über die Weiterverbreitungsrechte -- und zwar explizit auch für Open-Access-Publikationen.

"Use of Wiley Open Access articles for commercial, promotional, or marketing purposes requires further explicit permission from Wiley and will be subject to a fee" (Wiley)

"The exclusive right to publish and distribute an article, and to grant rights to others, including for commercial purposes." (Elsevier)

Barbara Pfister, Bibliothekarin am Gustavus Adolphus College in Minnesota nennt dieses Verhalten „rechtmäßig, aber nicht richtig" und charakterisiert es als „neues Raubtier-Verlagswesen".

Dabei verspricht der internationale Trend zu Open Access eine Goldgrube für die Verlage zu werden. Die Autoren bezahlen meistens tausende Euro für jede Veröffentlichung, ein steter Strom an neuen Veröffentlichungen finanziert Kosten für Server, Layout, Software-Aktualisierungen und den Hausmeister. Der Inhalt der Arbeit selbst wurde über die Forschungsförderung bereits vom Steuerzahler finanziert, und Wissenschaftler übernehmen unentgeltlich Begutachtung, Fehlerkorrektur, Lektorat, Bildredaktion und Koordinationstätigkeiten.

Vielleicht ist das von Kognitionswissenschaftler und Open-Access-Aktivist Stevan Harnad favorisierte Modell sowieso das bessere. Er plädiert dafür, bezahltes Open-Access links liegen zu lassen und stattdessen die Manuskripte vor dem Abtreten der Rechte an die Verlage anderswo zu deponieren. Universitäten und Forschungsinstitute stellen dafür sogar eigene, öffentlich finanzierte Infrastrukturen, „Repositorien", zur Verfügung. Auf lange Sicht werden damit Abonnements und bezahltes Open-Access überflüssig.

Lizensierungs-Hickhack, Bibliotheks-Abos und Bezahlschranken bleiben davon unberührt und so lange intakt, bis das Verlagswesen kollabiert oder sich zwangsläufig selbst reformiert.

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