Maispollen werden laut einer Studie regelmäßig in größerer Entfernung vom Feld und in größerer Zahl gefunden, als bisher angenommen wurde. Die Arbeit stammt aus dem Herbst 2014 und ist damit schon etwas älter, macht aber derzeit (eine) Schlagzeile(n) auf Spiegel Online. Was ist davon zu halten?

Zu wissen, wie weit die Maispollen fliegen, ist für die Sicherheitsbewertung von gentechnisch veränderten Sorten relevant. So möchte man einerseits den Genfluss in benachbarte Felder verhindern. Ein Bio-Bauer kann mit gentechnisch verändertem Erntegut nichts anfangen, Gentechnik ist im Bio-Landbau schließlich strikt verboten. Auch die genetische Verunreinigung von sortenfesten Maissorten, die man jedes Jahr neu aussäen kann, muss vermieden werden -- nicht weil Gene irgendwie giftig wären, sondern vor allem weil die Nutzung von Gentechnik so vielen Regelungen und Gesetzen unterworfen ist.

Andererseits sollen Nichtzielorganismen wie Bienen und Schmetterlinge nicht an insektizidhaltigen Pflanzenteilen eingehen. Der Bt-Mais enthält das Insektengift Bt-Protein, das gegen die Larven des Maiszünslers wirkt. Die Larven nehmen den Wirkstoff beim Fraß an der Nutzpflanze auf. Bienen, die die Blüten besuchen, oder Weichwanzen, die auf den Pflanzen leben oder Regenwürmer zählen zu den Tieren, die dem Bt-Toxin ausgesetzt sind. Der Pollen wird aber durch den Wind auf andere Pflanzen verweht -- etwa auf Brennesseln, die am Rand des Feldes stehen, und von Schmetterlingslarven verspeist werden.

Frieder Hofmann, der wohl als Dienstleister das Pollenmonitoring durchführte, Mathias Otto vom Bundesamt für Naturschutz und der Bremer Mathematiker Werner Wosniok untersuchten, wie weit Maispollen fliegen können und publizierten die Ergebnisse in der Zeitschrift Environmental Sciences Europe.

Hier musste ich stutzen. Wer publiziert denn freiwillig in so einem Schrottjournal? Environmental Sciences Europe re-publizierte die berüchtigte, zurückgezogene und weithin kritisierte Rattenstudie von Gilles-Eric Séralini, und zwar -- das ist der wirklich pikante Teil -- ohne inhaltliche Begutachtung. Auch ein unerträglicher Meinungsartikel ohne jegliche eigenen Daten fand Eingang in die Zeitschrift. Hier erklärten die Autoren (darunter Angelika Hilbeck, Vandana Shiva und Michael Hansen) den wissenschaftlichen Konsens über die Sicherheit von Genfood einfach für nichtexistent. Dabei sind einige Autoren als erklärte Gentechnikaktivisten bekannt und haben ein Interesse an übertriebener Gentechnik-Angst. Die Zeitschrift hat sich also eher einen Ruf für „Boulevardwissenschaft" gemacht, als für gute und robuste Arbeit. Die Begutachtung kann man somit wahrscheinlich in der Pfeife rauchen, was die Ergebnisse nicht ungültig macht, aber doch mein Vertrauen in die mir unverständlichen Teile der Publikation schmälert.

So kann ich zum Beispiel über das von Hofmann selbst entwickelte Pollensammlungsverfahren nicht viel sagen. Der Sammelmechanismus scheint sehr ausgeklügelt und auf Standardisierung und Reproduzierbarkeit ausgelegt zu sein. Die Proben wurden über einen langen Zeitraum von zehn Jahren und in Abständen von bis zu mehreren Kilometern Entfernung gesammelt.

Die Zahl der Pollen lässt sich in Abhängigkeit der Entfernung des nächstgelegenen Feldes in einem Streudiagramm darstellen:

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Man beachte die doppelt-logarithmischen Achsen, wodurch die Daten linear verteilt erscheinen. Potenzfunktionen lassen sich durch doppelt-logarithmische Auftragung linearisieren. Und in der Tat passt eine Funktion zur sechsten Potenz am besten zu den erhobenen Daten.

Die Publikation wirkt solide und methodisch korrekt, soweit ich das beurteilen kann. Der Schlussfolgerung des Autorentrios ist jedoch: Offenbar verhalten sich die schweren Pollen anders, als bisher angenommen wurde. Die europäische Sicherheitsbewertung geht von einem exponentiellen Abfall der Maispollenkonzentration in Abhängigkeit vom Abstand zum Maisfeld aus, bei einem exponentiellen Verlauf erwartet man aber viel niedrigere Konzentrationen bei größeren Distanzen. In einer zweiten Grafik wird anschaulich, wie sehr das bisherige Modell (in rot) die Pollenausbreitung unterschätzt. Im Anfangsbereich stimmt die Annahme der europäischen Zulassungsbehörden sogar noch gut mit dem power-law-Modell (in blau) überein.

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Vielleicht kann ein Mathematiker oder Statistiker sich in den Kommentaren zur Validität der Modelle äußern. Mir fehlt für eine Bewertung das Know-How und unsere hauseigenen Statistiker wollte ich mit so einem fachfremden Firlefanz nicht von der Arbeit abhalten.

Hofmann, Otto und Wosniok schlussfolgern: Bewertungen über die Reichweite des Pollenflugs fließen in die Sicherheitsbewertung und damit in die Zulassung der Pflanze ein. Hier ist ein Fehler passiert und eine Neubewertung über Mindestabstände zwischen Feldern ist nötig, um Nichtzielorganismen vor GV-Pflanzen zu schützen -- man bräuchte mehrere Kilometer.

Das erscheint mir dann doch übertrieben.

Denn die eigentlich Frage, die sich für mich aus der Arbeit ergibt: Muss uns das alles kümmern? Wie oben bereits angeklungen, gibt es dabei zwei Aspekte. Zum einen sollen Nichtzielorganismen nicht beeinträchtigt werden und zum anderen möchte man einer „Kontamination" von anderen Maispflanzen vorbeugen.

Zu Nichtzielorganismen und den Auswirkungen auf Ökosysteme hat transgen.de einige Quellen zusammengetragen und Stefan Rauschen interviewt, der ein EU-finanziertes Projekt zu dem Thema geleitet hat. Hinweise auf schädliche Auswirkungen auf Bienen, Schmetterlinge, Weichwanzen oder Regenwürmer sind äußerst rar. Im Gegenteil wurde 2011 von der Naturschutzorganisation WWF gemeldet, dass in den USA die Zahl der Monarchfalter wieder zunimmt. Insektizide sind schließlich noch viel unspezifischer beim Abtöten des Ackerlebens und treffen in jedem Fall Nichtzielorganismen. Gentechnik bedeutet also trotz potentiell insektengiftiger Bt-Toxine in den Pollen ein Gewinn für die Biodiversität der umgebenden Ökosysteme.

So verbleibt die Frage des Genflusses zu anderen Maispflanzen. Eine Auskreuzung in wilde Formen ist ausgeschlossen, denn der Mais-Urahn Teosinte lässt sich durch Maispollen nicht befruchten. Es ist auch nur in Mittelamerika heimisch, womit sich die Frage für Nordamerika und besonders Europa nicht stellt. Die meisten Landwirte kaufen ihre Saaten aus verschiedenen Gründen bei einem Händler jedes Jahr neu, Verunreinigungen haben sie also nicht zu befürchten. Ein Problem bekommt man nur bei „samenfesten", also zur Wiederaussaat geeigneten Sorten, wie sie mittelamerikanische Kleinbauern gern verwenden. Dies Einkreuzung eines patentrechtlich geschützten Transgens ist hier schon aus rechtlichen Gründen suboptimal. Das lässt sich aber durch die Einhaltung von Mindestabständen auf ein Minimum beschränken. Der „Pollendruck" ist innerhalb des eigenen Felds ohnehin sehr hoch, die wenigen Pollenkörner von weit entfernen Äckern haben kaum Chancen -- ihre Konzentration nimmt immerhin mit der sechsten Potenz des Abstands ab! Vielleicht ist es sinnvoller, sich die Auskreuzungsrate direkt anzusehen, anstatt sich auf nackte Pollenzahlen zu verlassen. Nach nur etwa zehn Metern Abstand stellt man eine Auskreuzungsrate von nur noch  einem Prozent fest, und ab 50 Metern liegt die Rate immer unter einem Prozent. Gerd Spelsberg vom Informationsdienst i-bio sagt dazu: „Hier gilt in Deutschland bei Mais ein Mindestabstand von 150 m. Innerhalb dieses Bereiches bleiben Einkreuzungen deutlich unter dem erlaubten Schwellenwert von 0,9 %". Zusätzlich zur Einhaltung von Mindestabständen kann man noch andere Maßnahmen wie ergreifen, um den Pollenflug zu reduzieren. Der Anbau steriler männlicher Pflanzen, die keinen Pollen produzieren, sind eine naheliegende Lösung, auch Flugbarrieren aus konventionellen Maispflanzen sind denkbar.

Trotzdem bleibt der Pollenflug ein Problem, denn man sieht es den Pflanzen nicht an, ob ein Transgen in sie hineingekreuzt wurde. Aber Züchter, die Sortenreinheit garantieren, müssen diese unabhängig von Gentechnik bewahren und überlassen die Bestäubung sowieso nicht dem Wind und Zufall. Für Hobbygärtner, traditionelle und biologisch-organisch arbeitende Landwirte, die samenfeste Sorten immer wieder aussäen wollen, besteht aber in der Tat das Risiko, dass sie sich ein Transgen einfangen. Besonders in den gentechniklastigen USA ist das zu einem echten Problem geworden, dem man aber durch recht mühsame Handpollination oder die Koordination der verschiedenen Blütezeiten der verschiedenen Sorten beikommen kann. Ignacio Chapela hat 2001 mit Hilfe umstrittener Methoden Transgene in traditionellen mexikanischen Maissorten gefunden. Inzwischen wurden Teile dieser Arbeit wohl auch reproduziert. Die Möglichkeit der „Verunreinigung" besteht also, und man das weiterhin gut überwachen.

Das Abendland geht nach dem Erscheinen dieser Studie also nicht unter, aber sie zeigt, dass die existierenden Modelle für Pollendrift unzureichend sind. Die Autoren betonen zwar die „schädliche Exposition von Nichtzielorganismen gegenüber GVOs", das scheint mir aber das geringste Problem zu sein. Nicht zuletzt sollte man darüber nachdenken, ob ein wenig mehr Gelassenheit gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen nicht zur Entspannung des Problems beitragen würde. Wenn man sich auf einen tolerierbaren Verunreinigungsanteil von 0,1% einigen könnte, würde das immer noch keine Bedrohung etwa für die Bio-Landwirtschaft darstellen. Umgekehrt würde eine Abschaffung von Patenten und Lizenzen denjenigen Rechtssicherheit verschaffen, die unabsichtlich Pflanzen mit eingeschleppten Transgenen anbauen.


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Bildnachweis

Grafiken: Hofmann, Otto, Wosniok, CC-BY.

Ergänzungen: 7.3., Zitat von Gerd Spelsberg nachgetragen. 12.3., Chapela und Rechtssicherheit von Transgenen ergänzt.

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