„Das Naturkundemuseum Berlin hat ein großes Herz für Monster" meinte die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor zwei Tagen in einer Glosse. Wenn man an den Dinosauriersaal denkt, wie könnte man das auch schlecht finden?

Diesmal ging es allerdings um die Monsterratten aus dem Labor des französischen Wissenschaftlers Gilles-Eric Séralini, die eine fast frankensteinische Anmutung hatten. Entstellt durch tischtennisballgroße Tumore, die bis zu 25% des Körpergewicht erreichten, sollten sie ein Beispiel für die Gesundheitsgefahren von gentechnisch verändertem Mais sein. Die Bilder gingen um die Welt und erschienen in großen Tageszeitungen, allen voran der Regenbogenpresse, und sogar im ZDF. Der Tenor war überall: „Genmais macht Krebs". Die Öffentlichkeit war davon vermutlich nicht sehr überrascht.

Auch das Museum für Naturkunde hat im Rahmen der Ausstellung „60 Jahre Entdeckung der DNA-Struktur" Séralinis Rattenbilder gezeigt, um auf die Kontroverse um die Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel hinzuweisen. Das Problem: unter den gegebenen Bedingungen konnte man der Komplexität des Themas nicht wirklich gerecht werden und dabei fiel leider unter den Tisch, dass die Sache längst nicht so klar ist, wie von Séralini dargestellt.

Kritik von allen Seiten an Séralinis Studie

In der Tat lief kurz nach der Veröffentlichung die Wissenschaftsgemeinde Sturm und verriss die Studie des Franzosen im Hinblick auf Konzeption, Durchführung und Design. Einige wenige Forscher stellten sich allerdings auch hinter Séralini. Expertengremien und Universitäten von vielen Ländern distanzierten sich von den Ergebnissen. Auch das Naturkundemuseum bekam einigen Gegenwind von Besuchern (darunter ich), die eine adäquate Aufbereitung des Themas forderten.

Wie verlässlich ist Peer Review allein?

Der durchaus nachvollziehbare Standpunkt des Museum war allerdings bis zuletzt: Was bereits durch drei unabhängige wissenschaftliche Gutachter bewertet und ordnungsgemäß in einer respektablen wissenschaftlichen Zeitschrift erschien, könne schwerlich Pseudowissenschaft sein. Nicht ohne Grund ist dieses „peer review" genannte Verfahren seit vielen Jahrzehnten Mindeststandard des wissenschaftlichen Diskurses, und in den meisten Fällen trennt es sehr effektiv Spreu vom Weizen.

Aber natürlich ist jedes menschengemachte System fehlbar, und das gilt auch für das peer review. Immer wieder rutschen Publikationen durch den Begutachtungsprozess, die von zweifelhafter Qualität sind. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Es beginnt mit der Tatsache, dass spektakuläre und spekulative Forschungsergebnisse ungleich stärker beachtet werden, als solche, die nur Bekanntes bestätigen. Dazu kommt, dass nicht jeder Wissenschaftler vorurteilsfrei und ergebnisoffen arbeitet -- die Pharmaindustrie demonstrierte in den letzten Jahrzehnten, wie leicht man das System austricksen kann. Auch Séralini hat sich bis heute geweigert, anderen Forschern Zugriff auf die Rohdaten seiner Untersuchung zu gewähren -- das ist kein guter wissenschaftlicher Stil.

Eine Geschichte mit gutem Ausgang

Zuletzt hat sich das Museum für Naturkunde und dessen Ausstellungsleiter Uwe Moldrzyk glücklicherweise die Indizien gegen die Stichhaltigkeit der Studie noch einmal genau angesehen. Die Animation, die das Thema in der Ausstellung aufgreifen sollte, ist nun so verändert worden, dass sie die Kritiker stärker zu Wort kommen lässt. Bis zum Ende der Ausstellung im Dezember kann man nun diese neue Animation sehen. Für das Blog des Museums, in dem man bereits an Konzeption und Umsetzung der Jubiläumsausstellung teilhaben konnte, werde ich eine kurze Erläuterung zur Kritik an der Rattenstudie schreiben und auch hier auf Detritus posten.

Damit dient dieser Beitrag gewissermaßen auch zur Schadensbegrenzung und als Demonstration für die grundsätzliche Offenheit des Museums gegenüber Kritik von außen. Und nun muss auch die FAZ nicht mehr befürchten, dass das Naturkundemuseum den französischen „Rattenfänger" aus didaktischen Gründen „unsterblich" macht!

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