Update: Inzwischen hat die Redaktion der Sendung eine Stellungnahme abgegeben. Weiter unten ist diese von mir kommentiert worden. Ulrich Berger von der GWUP hat hier einen lesenswerten Artikel zum Thema geschrieben. 

Eine Wissenssendung sollte informieren, denkt man. Dass auch das Gegenteil geht, beweist "Faszination Wissen" vom Bayerischen Rundfunk.

„Dafür, dass da angeblich mit einem „Nichts" kuriert wird, macht dieses „Nichts" ganz schön viel Arbeit." -- Moderator Gunnar Mergner

Wenn es um Homöopathie geht, scheint es bei Einigen auszusetzen: mit religiösem Eifer wird die geliebte Wundermedizin verteidigt. Der öffentlich finanzierten Rundfunk hat mit Herbert Hackels Sendung "Medizin oder Mogelpackung?", die gestern (22.04.) zu sehen war, diesen Personen haltloses Argumentationsfutter geliefert. Allem Anschein nach wusste das Autorenteam schon sehr früh, wohin die Reise gehen soll, denn um eine Lanze für die Homöopathie zu brechen, verlässt es sich auf Anekdoten, zweifelhafte Wissenschaft und eine sehr selektive Auswahl der Interview-Partner -- von Objektivität keine Spur.

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Gunnar Mergner und das Thema der Sendung: Samuel Hahnemanns Wissenschaft des verschüttelten Wassers und verriebenen Zuckers. Ein Klick führt zum Beitrag beim Bayerischen Rundfunk.

Als erstes wird einem die Erfolgsgeschichte von einer eigentlich unheilbar an Krebs erkrankten Ärztin und „eingefleischten Schulmedizinerin" vorgeführt. Diese hätte neben ihrer Chemotherapie noch Homöopathie genommen, und sei daraufhin in der Privatklinik Clinica St. Croce genesen. Der behandelnde Arzt Dr. Jens Wurster hält eine Heilung von Krebs durch Homöopathika durch „Immunmodulation" für möglich. 100 Erfolgsgeschichten gäbe es an der Klinik, ohne Verweis auf die Gesamtzahl der Behandelten. Es bleibt letztlich offen, was der Grund für die Heilung der Frau war, aber der Rest der Sendung drängt die Zuschauer/innen in die gewünschte Richtung. Dabei wissen wir: Eine Anekdote ersetzt keine Daten und eine fantastische und spekulative Erklärung ersetzt keine stichfeste Theorie.

Dann wird einem eine aufwändige schweizerische Studie von Heiner Frei aufgetischt, in der angeblich ADHS-Symptome von 80 Jugendlichen „ganz klar" und „signifikant" verbessert werden konnten. Dass es Kritik an der Studie von Wissenschaftlern der Uni Bern gab, wurde unterschlagen. In der Anfangsphase der Untersuchung wurde nämlich ein Viertel der Probanden ausgeschlossen, nachdem keine Verbesserung sichtbar war. Das verfälscht das Ergebnis und ist auch unüblich. In der Testgruppe A mit Homöopathie-Behandlung gab es eine Verschlechterung der Symptome, in der Testgruppe B gab es eine nur marginale Verbesserung, statistisch vielleicht signifikant, aber wohl kaum ein spektakulärer Beweis für die Wirksamkeit, wie die Mediziner letztlich auch zugeben.

„Tiere können sich ja eigentlich nichts einbilden, oder?" -- fragt Moderator Gunnar Mergner. Es folgt ein anekdotischer Exkurs in die homöopathische Veterinärmedizin -- was streng genommen kaum etwas mit Homöopathie zu tun hat. Diese beruht nämlich auf der individuellen Therapie basierend auf dem Erscheinungsbild der Symptome, hier wird mit der Sprühflasche und auch noch vorbeugend appliziert. Außerdem ist die Anamnese und das Patientengespräch neben der Medikation die Grundsäule der Homöopathie, wie diese Unterhaltung wohl bei den tierischen Patienten abgelaufen ist? Und natürlich gibt es einen Placebo-Effekt auch bei Tieren: Dieser ist nicht nur „Lerneffekt", denn auch Tiere können Erwartungshaltungen haben und konditioniert werden. Was der Placeboeffekt eigentlich ist, wurde von den Autoren auch gar nicht verstanden. Sie bezeichnen ihn wiederholt als einfache „Einbildung", was dem Effekt natürlich nicht gerecht wird.

Dann kommt ein „spektakuläres Experiment" mit Wasserlinsen, diesmal von Stephan Baumgartner der Uni Bern. Dieser versucht seit vielen Jahren mit verschiedensten Methoden Unterschiede zwischen homöopathisch verschütteltem und ganz friedlichem normalen Wasser herbeizumessen. Hier hat er kleine Wasserpflanzen mit Arsen vergiftet, um sie dann mit „potenziertem" Arsen wieder zu heilen. Lassen wir mal außen vor, dass ein Patientengespräch mit Wasserlinsen noch schwieriger ist: Das Ergebnis wurde noch nie unabhängig bestätigt, also nehmen wir es einfach mal hin, ohne dass wir ihm viel Beachtung schenken müssen.

Es wird wiederholt suggeriert, dass Kritiker lediglich aufgrund der hohen Verdünnung von einer Nicht-Wirksamkeit ausgehen: „Wo kein Wirkstoff ist, kann auch keine Wirkung sein. Das ist das Argumentations-As im Ärmel der Kritiker", "Wenn die HP eine Wirkung hat, dann ist sie mit naturwissenschaftlichen Gesetzen nicht zu erklären", „die Logik der Zahlen scheint übermächtig zu sein" tönt der Moderator. In Wahrheit stützen sich Homöopathie-Kritiker auf eine Reihe von wissenschaftlichen Studien, die keine Anhaltspunkte liefern, dass Homöopathie wirkt. Und natürlich muss man nach keinem Wirkmechanismus suchen, wenn man keine Wirkung feststellen kann.

Es gibt noch einige andere Kritikpunkte: etwa, dass wir noch nicht alles verstünden, was zwischen „Himmel und Erde passiert" (Hamlet), demzufolge sei auch alles möglich; auch den Naturgesetzen widersprechende Homöopathie. Das ist natürlich Unsinn. Auch dass das Simileprizip („Ähnliches werde durch ähnliches geheilt")  -- neben der Potenzierung die grundlegende Anforderung für ein wirksames Homöopathikum -- längst widerlegt ist, kommt nicht zur Sprache. Es werden stets unhinterfragt die Positionen der Befürworter vertreten.

Weshalb kommt eigentlich  keine einzige kritische Stimme im gesamten Beitrag vor? Das fragte sich auch Kommentator p0etwarri0r im zur Sendung gehörenden „Livechat", der sich den wohl bekanntesten Kritikern der Alternativmedizin, Edzard Ernst, gewünscht hätte. Die Antwort von Herbert Hackl lautete:

Mit Herrn Ernst wollte ich nicht sprechen! Er wiederholt nur immer die gleichen Argumente und geht seinerseits nicht auf neuere Studien ein. Übrigens hat Herr Ernst früher selbst zu Homöopathie geforscht. Allerdings nach allgemeiner wissenschaftlicher Meinung methodisch ziemlich schlecht.

Jeder anständigen Journalist/in rollen sich bei dieser Aussage wahrscheinlich die Zehennägel nach oben. Muss man nicht weiter kommentieren, Herr Hackl hat sich damit selbst disqualifiziert.

Die Sendung ist eine unschöne Mischung aus „Anekdoten, zurechtgebogenen Studien, Verschwörungstheorie, und Hamlet-Argument". Nicht gerade ein Aushängeschild für die Qualität des deutschen Wissenschaftsjournalismus.

***

Zur Stellungnahme

Update, 24. April: Inzwischen gibt es eine Stellungnahme der Redaktion von „Faszination Wissen".

Dort behauptet die Redaktion, dass Vorhandensein einer Wirksamkeit und deren Mechanismus nach wie vor eine „offene Fragen" seien. Das ist sicher der Fall unter den Homöopathen, mit denen die Redaktion gesprochen hat. In diesen Kreisen wird auch die große Metastudie von Shang et al. sicher kontrovers diskutiert. Im Rest der Welt wird das höchstens mit einem Achselzucken hingenommen. In der internationalen wissenschaftlichen Community hat die Homöopathie keinen Rückhalt -- sie ist ein Phänomen vor allem des deutschsprachigen Raums.

Des weiteren meint die Redaktion, den Kritikern durch die Moderation genügend Sendezeit eingeräumt zu haben. Die Auffassung, dass die Kritiker-Position hier aber nur stark verzerrt wiedergegeben wurde, wird nicht geteilt. Es ist wohl kaum zu übersehen, dass die Position der Homöopathie-Befürworter überproportional mehr Raum in der Sendung gegeben wurde. Wäre die Homöopathie wirklich umstritten und hätte die Redaktion journalistisch sauber gearbeitet, hätte man beiden Seiten mindestens gleich viel Raum einräumen müssen. Beides war offenbar nicht gegeben, womit wir das Plädoyer „Pro Homöopathie" erhalten, das wir am 22. April gesehen haben.

Auch die Verteidigung, man hätte zu keinem Zeitpunkt die Wirksamkeit einer homöopathischen Krebstherapie suggeriert, ist nicht haltbar. Es wird wiederholt behauptet, dass es ungeklärt sei, ob Krebs durch Homöopathie heilbar sei. Selbst der Deutsche Zentralverband homöopathischer Ärzte vertritt nicht die Position, Homöopathie könne Krebs heilen, man kann also annehmen, dass diese Möglichkeit von der Mehrheit der homöopathisch praktizierenden Ärzt/innen nicht geteilt wird.

Die Redaktion positioniert sich, wenn überhaupt, viel zu schwach gegen diese abstruse Hypothese. Im Gegenteil werden einige Indizien zugunsten der homöopathischen Krebstherapie dargestellt. So wird die Krebspatientin als praktisch unheilbar präsentiert, es wird gesagt, eine Chemotherapie könne das Leben lediglich „verlängern". Die Heilung der Patientin sei drei Monate nach Beginn der homöopathischen Behandlung geschehen, so wären keine Metastasen mehr nachweisbar gewesen, ein Rezidiv könne aber nicht ausgeschlossen werden. Aus dem zeitlichen Zusammenhang wird hier ein kausaler Zusammenhang suggeriert, wenn auch nicht ausgesprochen. Jens Wurster jedoch präsentiert anschließend die kausale Erklärung, weshalb Homöopathie bei Krebs wirke.  Er behauptet, eine bis dato nie dokumentierte „Immunmodulation" könne zur Krebsheilung (und zur Heilung von chronischen Krankheiten) führen. Wurster vertritt bekanntermaßen offen die Position, Krebs sei durch Homöopathie heilbar. Das ist gefährlicher Unsinn.  Die Sendung macht sich Wursters gefährliche Ansichten nicht explizit zu Eigen, gibt ihnen aber eine große Plattform.

Es wird ganz ausdrücklich gesagt: „Es wurden an der Clinica St. Croce über 100 Fälle dokumentiert, bei denen der Krebs nach einer homöopathischen Behandlung verschwand." Es hilft nicht, wenn der Moderator ein großes Fragezeichen an die Wand malt, und damit impliziert, dass Homöopathie wirklich Krebs heilen könnte. Nach allem, was wir wissen, ist das praktisch ausgeschlossen. Dieser Position sollte kein Platz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eingeräumt werden.

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