Die Open-Access-Bewegung scheint an Fahrt zu gewinnen. Geldgeber aus dem Vereinigten Königreich und auf EU-Ebene unterstützen einen Umschwung zu einem Publikationswesen, das einen freien Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen ermöglichen soll.

Aber warum sollte einen Doktoranden wie mich das Thema überhaupt interessieren? Sollte es nicht viel wichtiger sein, gute Artikel in guten Zeitschriften zu veröffentlichen, unabhängig vom zugrundeliegenden Geschäftsmodell?

Das traditionelle vs. das offene Publikationsmodell

Der Austausch wissenschaftlicher Ergebnisse geschieht vor allem über Artikel in Fachzeitschriften. Traditionell wird das meiste Geld mit dem ersten "Leser-zahlt"-Modell verdient, bei dem Verlage die Artikel über Uni-Bibliotheken an die Wissenschaftler  und andere Leser zurück verkaufen. Im Zeitalter der handschriftlichen Manuskripte und Papierzeitschriften war das durchaus gerechtfertigt, mit der digitalen Revolution sind die Kosten für die Zeitschriften extrem angestiegen. Bei Renditen von regelmäßig 35-40% verdient die Branche sehr gutes Geld, das letztlich aus den Taschen der Steuerzahler stammt, die wiederum selbst gar nicht ohne weiteres auf die Publikationen zugreifen können. Damit sind wir über die Jahre in eine Krise gerutscht: Die Kosten für Abonnements sind signifikant schneller gestiegen, als die Inflation und die Bibliotheksbudgets. Dieses Finanzierungsmodell ist alles andere als nachhaltig. In der Folge mussten selbst Bibliotheken renommierter Universitäten wie Harvard aus Budgetgründen Abos kündigen, wodurch sich teilweise enorme Zugriffsprobleme ergeben. 

Alternativ verspricht „Open Access" freien Zugriff auf Artikel, sowohl für Wissenschaftler, als auch die breite Öffentlichkeit. Die Kosten des Veröffentlichens, der Organization der Begutachtung, des Archivierens etc. wird durch Gebühren oder durch Subventionen durch Stiftungen getragen. Open Access eliminiert damit die hohen Kosten, die Zugriffsprobleme und sogar rechtliche Probleme zur Weiterverbreitung der Inhalte. Anders als in anderen Branchen, sind Wissenschaftler sehr stark daran interessiert, dass ihr geistiges Eigentum möglichst weit verbreitet wird.

Die Bewegung gewinnt an Fahrt: ist Open Access wirklich die Zukunft?

In diesem Jahr scheinen sich die Ereignisse zu überschlagen und die Open-Access-Bewegung gewinnt immer mehr einflussreiche Unterstützer. Mehr als 12.000 Wissenschaftler sprechen sich öffentlich gegen das parasitäre Geschäftsmodell der Verlage und speziell gegen Geschäfts- und Lobby-Tätigkeiten von Elsevier Reed aus, dem größten wissenschaftlichen Verlagshaus. Das Zentrum für Mathematik an der TU München kündigt Elsevier-Abos. In einer offiziellen Petition an das Weiße Haus fordern Tausende freien Zugriff auf staatlich finanzierte Forschung. Und vor ein paar Wochen äußert sich zuerst die britische Regierung und dann die EU-Kommission zu dem Thema zum Thema: Beide möchten in den nächsten Jahren alle bzw. den Großteil der Forschung OA-publiziert und damit die gesamte Publikationswelt auf den Kopf gestellt sehen:

Die Steuerzahler sollten nicht zwei Mal für wissenschaftliche Forschung bezahlen müssen, und sie benötigen einen problemlosen Zugriff auf Rohdaten.  -- [Neelie Kroes, Vizepräsidentin der EU-Kommission für die digitale Agenda]{.small}

Einwände gegen Open Access

Es stellt sich natürlich die Frage, ob es nicht doch irgendwo Haken und Ösen gibt, die Wissenschaftler und -- für mich besonders interessant -- vor allem auch junge Wissenschaftler und Doktoranden benachteiligen.

Warum sollte man sich von einem (sicher sehr ehrbaren) Freiheitsgedanken leiten und damit diktieren lassen, in welcher Zeitschrift man zu publizieren hat? Ist diese Entscheidung nicht völlig unabhängig vom Geschäftsmodell des entsprechenden Verlags? Immerhin müssen Wissenschaftler, um konkurrenzfähig zu bleiben und Geldgeber zu finden, in besonders renommierten Zeitschriften publizieren. Diese sind doch meistens noch traditonell über Abonnements finanziert und nicht Open-Access. Was ist mit denjenigen, die nicht für die Publikationsgebühr einer Open-Access-Zeitschrift aufkommen sind, etwa weil sie freie Forscher sind, ohne finanzielle Beihilfe? Wie soll die Zeitschriftenindustrie überleben, wenn ihr die Einnahmen wegbrechen? Das Veröffentlichen verursacht immerhin Kosten, die für das Organisieren der Gutachter, das Lektorieren, Archivieren, Drucken usw. anfallen.

Wie ich nach und nach festgestellt habe, sind das allesamt keine gültigen Einwände. Solche und andere Vorbehalte gegen Open Access sind aber vor allem unter jungen Wissenschaftlern weit verbreitet, wie eine Studie der British Library und JISC zeigte.

Mythen

Die traditonelle Zeitschrift / der traditionelle Verlag wertet die Publikationen signifikant auf

Dass es bisher keine Open-Access-Gegenspieler zu Größen wie Cell, Nature und Science gibt, scheint klar zu sein. Diese drei Zeitschriften sind allerdings Ausnahmen, die meisten sind dagegen sehr klein. Allerdings scheint sich das langsam zu ändern: Nicht nur haben die Zeitschriften etwa von PLoS ein großes Renomée erlangt, sondern mit der eLife-Initiative ist etwas im kommen, das den Großen Konkurrenz machen soll (mehr dazu hier auf der eLife-Seite).

Die Industrie ist auf die Profite angewiesen

Wie oben beschrieben, verursacht das Veröffentlichen und Verlegen Kosten. Allerdings kann man nicht behaupten, dass die Verlage hier den Großteil der Arbeit übernehmen. Das Editing, das Peer-Review, und die eigentlichen Inhalte (die Artikel) werden kostenfrei von Wissenschaftlern geliefert.

Mike Taylor rechnet hier vor, dass der Traditionsverlag Elsevier an einem Artikel durchschnittlich achtmal mehr verdient, als das Open-Access-Journal PLoS ONE überhaupt für einen Artikel verlangt. PLoS ONE schreibt aber schwarze Zahlen, und macht nicht etwa ein Verlustgeschäft. Die Profite der Traditionalisten sind also ganz klar außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit.

Eine Reihe von Open-Access-Zeitschriften zeigt, dass man sich auch über die Publikationsgebühr finanzieren kann. BioMedCentral ist etwa ein kommerzieller Online-Verlag, der inzwischen von Springer gekauft wurde. Auf die Frage, ob BMC Profit abwirft, antwortete der Springer-Geschäftsführer Derk Haank:

Ja, BioMedCentral hat eine sehr gesunde Rendite, im zweistelligen [Prozent?] Bereich. Es ist nicht gerade-so profitabel, sondern ein sehr vernünftiges Geschäft. ([Yes, BioMed Central has a very healthy margin, more than double digits. It is not marginally profitable but a very sound business.)]{.small}

Kosten für den Autor

Die Publikationskosten, die ganz unterschiedlich hoch sind, und bei einer recht renommierten Open-Access-Zeitschrift wie PLoS Biology bei \$2900, und bei dem Megajournal PLoS ONE bei \$1350 liegen. Das ist nicht gerade wenig, aber die Geldgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, oder die Max-Planck-Gesellschaft kommen für diese Kosten im Rahmen von Projektanträgen auf. Bei praktisch allen Open-Access-Zeitschriften, die eine solche Gebühr verlangen, gibt es eine Erlass-Option (fee waiver) für „ökonomische Härtefälle". Grundsätzlich können damit auch freie Forscher aus ihren Kellern in die weite Welt hinaus publizieren.

Davon abgesehen sind 70% der Open-Access-Zeitschriften völlig kostenlos für den Autor, während ganze 75% der traditionellen Zeitschriften hohe Gebühren für Farbabbildungen oder zusätzliche Seiten verlangen.

Das Geschäftsmodell des Verlags darf mir nicht die Karriere diktieren

Wie in den vorgehenden Punkten bereits klar geworden ist, hat man einige Möglichkeiten, in verschiedenen, auch angesehenen Zeitschriften zu publizieren, und auch bei fehlender finanzieller Beihilfe kann man Open-Access-Zeitschriften trotzdem in Anspruch nehmen.

Wir sollten uns darüber hinaus langsam von der Vorstellung trennen, dass die „Marke" oder Thomsons Impact Factor irgendwas über die Qualität unserer Arbeit aussagen. Der unsägliche Impact-Factor wird oft als Maß für das Renommée einer Zeitschrift oder sogar von Wissenschaftlers missbraucht, und entscheidet damit über das Überleben des Betroffenen. Dabei werden, wie Björn Brembs zeigen konnte, in den hoch angesehenen Zeitschriften vielleicht besonders spektakuläre, aber auch besonders viel unverlässliche Ergebnisse publiziert.

Der Geldgeber Wellcome Trust verabschiedet sich bereits von dieser „Marken-Denke":

Der Wellcome Trust bekräftigt das Prinzip, dass der eigentliche Wert einer Arbeit, und nicht etwa der Name der Zeitschrift, in der der Autor publiziert hat, über Entscheidungen zu finanziellen Beihilfen entscheiden sollte. ([[T]he Wellcome Trust [...] affirms the principle that it is the intrinsic merit of the work, and not the title of the journal in which an author's work is published, that should be considered in making funding decisions.)]{.small}

Außerdem kann man in der Regel immer noch „grünes Open Access" wählen: Hier deponiert man seine unfreie Publikation in Repositorien, die in der Regel von Bibliotheken und den Geldgebergesellschaften unterhalten werden. Nach einer Frist, die der Verlag festsetzt, wird die Arbeit für jedermann über das Repositorium freigegeben.

Schluss

Beim Aufbau einer Open-Access-Zukunft werden die Doktoranden von heute maßgeblich mitbeteiligt sein, allerdings haben sie derzeit noch wenig Einflussmöglichkeiten. In der Regel entscheidet der Betreuer, wo was publiziert wird, denn Doktoranden als Neulinge verfügen weder über die nötige Erfahrung, noch über den breiten Überblick über das Thema. Daher lohnt es sich auf jeden Fall, das Thema mit Betreuern und Kollegen zu anzusprechen.

Auch wenn die Welt noch auf meine erste Publikation warten muss, werde ich vorraussichtlich in zwei Wochen an einer Podiumsdiskussion zum Thema teilnehmen. Das ganze findet im Rahmen einer von und für Doktoranden organisierten Veranstaltung von FMP und MDC statt. Es werden sich sowohl eine Vertreterin von Elsevier, ein Vertreter der Open-Access-Initiative der Helmholtz-Gemeinschaft, als auch Editoren von Fachzeitschriften beteiligt sein. Ich werde die Stimme der Doktoranden übernehmen.

Gibt es Aspekte, die es sich anzusprechen lohnt? Wo seht ihr Chancen und Risiken von Open Access für eine wissenschaftliche Karriere?

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