Schon sprichwörtlich wird Zucker mit Sünde verbunden: Die Nachricht, dass Süßkram ungesund ist, taugt also wirklich nicht zu einer Neuigkeit. Warum man den Kampf gegen den inneren Zuckerjunkie so häufig verliert und was Alternativen zum Kristallzucker wirklich taugen.

Es besteht kein Zweifel, Zucker im Übermaß ist ungesund. Im Übermaß ist alles ungesund, mag man da einwerfen. Beim Zucker scheint das Maßhalten allerdings schwieriger zu sein, wenn man unbegrenzt Zugriff darauf hat. Anders als mit Broccoli oder Kohlrabi, ist es für mich überhaupt kein Problem, eine gesamte Packung Schokolade, Cola oder Kartoffelchips auf einmal zu verdrücken, auch wenn das laut Aufdruck mindestens zehn Portionen entspricht. Das geht meist ganz automatisch, die Hand wandert ein paar Mal zwischen Schokolade und Mund hin und her und man wundert sich, wer denn die ganze Tafel so schnell gegessen hat.

Natürlich ist mir nach so einer Fressorgie total schlecht. Ich weiß also, dass es nicht gut für mich ist. ich weiß auch, dass ich mit meinen Fressanfällen nicht allein bin. Wie ich können vielen Menschen gar nicht anders, denn die genannten Lebensmittel werden absichtlich darauf optimiert, dass sie zentrale Belohnungsmechanismen in unserem Gehirn übersteuern, wie einige Neurowissenschaftler argumentieren. Die gleichen neuronalen Kontrollmechanismen werden bei Drogensucht angesprochen, weshalb einige Experten inzwischen von „Ess-Sucht" sprechen, die einen Teil der weltweiten Fettleibigkeits-Epidemie erklären könnte. Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung ist inzwischen übergewichtig, ein Zehntel leidet an Diabetes, mit steigender Tendenz. Experten führen das zu einem Teil auf den zunehmenden Konsum von zuckerhaltigen Lebensmittel zurück.

Zucker -- genauer Süße -- scheint hier eine zentrale Rolle zu spielen. Zahlreiche Versuche zeigten, dass Ratten im Experiment von Saccharin noch abhängiger waren als von Kokain, gegenüber Zucker suchttypisches Verhalten und Entzugserscheinungen an den Tag legten. Kleine Einschränkung: Ratten finden Süßes offenbar außerordentlich anziehend, Kokain dagegen weniger, weshalb sie nicht die idealen Modellorganismen zur Erforschung von Zuckersucht sind. Trotzdem: Es gibt auch aus Studien an Menschen genug wissenschaftliche Belege, dass man schlussfolgern kann, dass Ess-Sucht und suchterzeugende Lebensmittel ein echtes Problem sind.

„Gesunde", weil natürliche Alternativen? {#gesunde_weil_natrliche_alternativen}

Aus diesen Gründen kann man „gesunde", weil als „natürlich" kolportierte Zucker-Alternativen wie Honig, Dattelsirup, Rübensirup, Kokoszucker, braunen Zucker oder Ahornsirup getrost vergessen. Sie beziehen ihre Süßkraft aus ganz normalen Zuckerarten: Saccharose (auch Sucrose genannt) oder deren Bestandteilen Glukose und Fruktose in veränderlichen Anteilen. Aus Saccharose besteht auch der Kristallzucker aus dem Supermarkt -- der übrigens auch ein Naturprodukt ist.

Ein paar Spurenelemente, Vitamine oder Enzyme mögen darin noch enthalten sein. Diese Verunreinigungen sind aber gegenüber dem verhältnismäßigen Übermaß an Zuckermolekülen vernachlässigbar. Ob der Zucker nun industriell raffiniert wird, ist ernährungsphysiologisch praktisch egal.

Damit sind die „natürlichen", unraffinierten Zucker fast genauso schlimm wie der gefürchtete Fruktose-Glukose-Sirup, mit dem in den USA die Cola gesüßt wird. Wie der Name andeutet, enthält der High Fructose Corn Syrup (HFCS) etwas mehr Fruktose als Glukose, üblicherweise im Verhältnis 55:45 (normaler Zucker: 50:50). Es ist zu bezweifeln, ob der kleine Mengen-Unterschied diesen Billigsirup, der aus Maisstärke produziert wird, wirklich zur Wurzel allen Übels der modernen Zivilisation qualifiziert!

Schlimmer als alle bereits genannten Fruktose-Glukose-Gemische ist eigentlich nur noch Sirup aus konzentriertem Apfelsaft („Süße aus Früchten") oder Agavendicksaft. Hier ist weit überwiegend Fructose enthalten. Dieser Zuckerbestandteil ist gewissermaßen der böse Zwilling der Glukose und wird mit allerlei fiesen Stoffwechselerkrankungen wie metabolischem Syndrom, Fettleber oder Fettleibigkeit in Verbindung gebracht. Diabetikern empfiehlt man schon lange nicht mehr, Fruktose als Insulin-schonenden Kristallzucker-Ersatz zu nutzen.

Geschwister im Geiste: Stevia, Aspartam und Co. {#stevia_aspartam_und_co}

Aber was ist mit Stevia, ist das nicht eine gesunde Alternative? Genauso wie die als ungesund verschrieenen synthetischen Süßstoffe Aspartam, Saccharin, Cyclamat und Acesulfam K bindet das Steviolglykosid recht fest an die Geschmacksrezeptoren der Zunge. Man braucht also vergleichsweise wenig davon, was etwa beim Kuchenbacken zu einem kleinen Problem führt: es fehlt an Volumen und die Textur der Backwaren verändert sich. Da helfen Zuckerersatzstoffe wie das teure Xylit (Xylitol, manchmal auch Birkenzucker oder Holzzucker genannt) oder Sorbitol, die eine ähnliche Süßkraft wie normaler Zucker besitzen. Diese Substanzen schmecken oft nicht einfach nur süß, sondern oft auch bitter, metallisch oder kalt auf der Zunge. Um sie als Alternative zu nutzen, muss man gewisse praktische und geschmackliche Nachteile in Kauf nehmen.

Das eigentlich Problem scheint jedoch zu sein, dass die Aufnahme von Süßstoffen zumindest in Ratten den Insulinspiegel durcheinander bringt -- also dem Hormon, das die Aufnahme von Zucker aus dem Blut steuert. Außerdem verändern sie möglicherweise die Zusammensetzung der Bakterienflora im Darm. Als Folge fressen die Ratten mehr oder bekommen eher Diabetes als ihre Süßstoff-freien Artgenossen. Ob diese Erkenntnisse direkt auf den Menschen übertragbar sind, ist fraglich. Allerdings verdichten sich die Erkenntnisse, dass Süßstoffe mehr schaden als nützen könnten und somit keine echte Alternative zum Zucker darstellen. Großer Vorteil: sie verursachen keine Karies.

Dass Stevia aus der Stevia-Pflanze stammt, oder Xylit aus Holzbestandteilen, ist dabei unerheblich. Der Wirkmechanismus von allen Süßstoffen ist weitestgehend identisch. Süß sind sie schließlich alle. Und der Verzehr in Kilogebinden der Gesundheit mit Sicherheit nicht förderlich (wir erinnern uns an Paracelsus mit seinem Dosis-Wirkungs-Naturgesetz).

Fazit

Die vorgestellten Alternativen machen unsere vermaledeite Zuckersucht also kein Deut erträglicher. Ob man eine Großpackung Bio-Gummibären aus braunem Zucker oder eine Riesentüte Haribo mit Industriezucker in sich hineinstopft, macht kaum einen Unterschied. Ob Diet Coke besser ist, also normale Coca-Cola, ist fraglich. „Süß ohne Sünde" scheint einfach nicht drin zu sein, und das ist natürlich frustrierend.

Mich mit Obst und Gemüse zu überfressen, ist übrigens ziemlich schwierig: Eine Tafel Vollmilchschokolade enthält so viel Zucker wie sechs Kilogramm Broccoli, zweieinhalb Kilo Möhren oder ein Kilo Äpfel. Bei Säften und Smoothies sieht es schon wieder ganz anders aus: Ob man Cola oder Apfelsaft trinkt, ist eigentlich egal -- beides sind Süßigkeiten.

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